Verschwörungstheorie
und Nazi-UFO's - Part 3
Angesichts der Popularität der Veschwörungsthesen
im 19. Jahrhundert wundert es nicht, daß sie auch auf
die Außenpolitik übergriffen. Der Kreis polnischer, antirussischer Emigranten
in Paris fabrizierte ein "Testament Peter des Großen", dessen Zweck
es war, die französische Öffentlichkeit und die Regierung Frankreichs gegen Rußland zu beeinflussen. Dieses "Testament" hatte
eine außerordentliche Wirkung.
Der polnische General Michel Sokolnicki,
einer jener Polen, die 1795 in der Hoffnung nach Frankreich geflohen waren, von
dort aus ihr Vaterland wieder zurück zu erobern,
überreichte sein "Apercu sur
la russie" dem Directoire. Frankreich, so hieß
es darin, sei die einzige Macht, die Europa vor der russischen Gefahr retten
könne. deshalb sei es für seine Staatsmänner wichtig, den Plan zu kennen, den Rußland verfolge, um Europa zu versklaven. Seine polnischen
Freunde, so Sokolnicki, hätten nach der Eroberung der
russischen Archive in Warschau im April 1794 einen kurzen Blick in den
"einzigartigen, von Peter I. entworfenen Plan, Europa zu unterjochen"
werfen können. Er wolle diesen wiedergeben, so gut sein Gedächtnis die Berichte
seiner Freunde bewahrt habe. Damit war die Verschwörungstheorie in eine neue
Phase eingetreten, denn dabei handelt es sich um die erste bekannte
Konspirationstheorie, die eine regelrechte Fälschung und Manipulation in dem
Sinne ist, daß ihre Autoren selbst nicht an die
russische Verschwörung zur Unterwerfung Eruopas
glaubten.
Selbst Karl Marx trat in die Fußstapfen Barruels,
denn er war nicht nur von der Echtheit des "Testaments Peters des
Großen" überzeugt, auch von der Tatsache, daß
Palmerston, der damalige englische Premierminister, von den Russen bestochen
sei. Marx wollte diese von dem englischen Nahostspezialisten David Urquhart
übernommene These durch eine Dokumentation erhärten, die er aus den Archiven
des British Museum zusammenstellte. Sein Streifzug in das Gebiet der Diplomatiegeschichte ließ ihn die "Entdeckung"
machen, daß die Zusammenarbeit zwischen Rußland und England, bzw. die Beeinflussung der englischen
Politik durch Rußland aus der Zeit Peters I. stammte.
Damit war der Zusammenhang mit dessen "Testament" hergestellt und
eine neue Konspirationstheorie geboren. Das Ergebnis von Marx‘ Aktenstudium
erschien 1856 unter dem Titel "Revelations on the Diplomatic History of the
18th Century" in den von David Urquhart herausgegebenen Zeitungen, in
denen Marx auch seine Artikel aus den Jahren 1853 und 1854 über Palmerston wieder
abdrucken ließ.
Die Konspirationstheorien bezogen sich demnach auf vier
Menschengruppen: Juden (an die 15 Millionen), Freimaurer (5 Millionen), Briten
(60 Millionen), und Amerikaner (260 Millionen). Insgesamt machen diese vier
Gruppen an die 6 Prozent der Weltbevölkerung aus, so daß
94 Prozent verbleiben, die nicht als Verschwörer in Frage kamen. Von besonderem
Interesse unter den "Nichtverschwörern" ist, daß
sich darunter drei der Großmächte befinden, die zwischen 1618 und 1991
versuchten Europa zu beherrschen. Die extreme Linke und die extreme Rechte,
universalistische Religionen und die gesamte nichtwestliche Welt.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts beschränkte sich die Furcht
vor einer weltweiten Konspiration hauptsächlich auf die Geheimgesellschaften
und erst zu dieser Zeit tauchen zwei neue Feindbilder auf, die den
Geheimgesellschaften schließlich den Rang abliefen: Antiimperialismus und
Antisemitismus. Was mit einem ausschließlichen Blick auf Freimaurer und andere
private Gruppierungen begann, inkludierte im Lauf der Zeit auch öffentliche
Institutionen. Diese Veränderung führte nicht nur dazu, daß
die Linke voll in das Konspirationsdenken mit einbezogen wurde, auch die
Rechte, zu einem späteren Zeitpunkt (denken wir beispielsweise an die
amerikanischen Bürgermilizen).
Die Konspirationstheorie, der die Gründung der Sowjetunion zugrundelag, besagte, daß der
durch die englische und amerikanische Regierung bewirkte Kapitalismus das
größte Hindernis für den Wohlstand der Menschheit sei. Diese Theorie wurde zum
wesentlichen Element der vorherrschenden Ideologie vieler anderer
kommunistischer Staaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg an die Macht kamen.
Obwohl die Sowjetunion diese Konspirationstheorie von ihren Anfängen bis zu
ihrer weiten Verbreitung förderte, kam es dennoch im Lauf der Zeit zu
verschiedenen Veränderungen; der Antisemetismus wuchs
stärker, Zynismus ersetzte Überzeugung, und in den späten Vierzigerjahren des
20. Jahrhunderts tauchte leicht abgewandelt Israel als jüdisches Feindbild auf,
das die lokalen Juden verdrängte, während Washington London ablöste.
Weil die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien und die
Erfindung von Sündenböcken in Krisenzeiten sprunghaft zunimmt, wird auch
verständlich, weshalb ihr in Deutschland nach 1918 eine neue Aktualität zukam.
Von besonderer Relevanz für das Echo derartiger Theorien und für die
Bündnispolitik der völkischen Bewegung gegenüber christlich-konservativen
Kreisen war das 1919 erschienene und 1920 erweiterte Buch "Entente
-Freimaurerei und Weltkrieg" des Schweizers Karl Heise. Auch er griff auf
die Illumininaten-Verschwörung des 18. Jahrhunderts
zurück und bestätigte einen inneren Zusammenhang zwischen Loge,
Großkapitalismus und Bolschewismus. In seinem erstmals 1919 publizierten und
1925 bereits in 6. Auflage vorliegendem Werk "Weltfreimaurerei,
Weltrevolution, Weltenrepublik" unternahm Friedrich Wichtl
eine Situationsanalyse nach dem Muster der Komplott-Theorie. Heinrich Himmler,
damals neunzehnjährig, vermerkte nach der Lektüre dieses Buches in seinem
Tagebuch: "Ein Buch, das über alles aufklärt und uns sagt, gegen wen wir
zu kämpfen haben."
Als wesentlicher Faktor in der Verschwörungstheorie war seit der
Zunahme des Antisemitismus im ausgehenden 19. und dem beginnenden 20.
Jahrhundert das Judentum hinzugekommen. Dabei griff man auf ältere
Vorstellungen zurück, wie Freimaurer und Juden hätten einander gegen
Deutschland verschworen, den Ersten Weltkrieg angezettelt, und Deutschland sei
durch ein freimaurerisches Friedesdiktatprogramm
ruiniert worden. Das war in etwa die Kurzformel der Beschuldigung. Die Ludendorff’sche Variante der Verschwörungsthese besagte, daß der Jesuite als
"Finanzmagnat mit dem jüdischen Volk eng vereint" ist. Ludendorff,
der zunächst Hitler unterstützte, stand dem im Exil lebenden deutschen Kaiser
und den Monarchisten sehr nahe.
Kaiser Wilhelm II., dem Ludendorff seine antifreimaurerischen
Pamphlete nach Doorn sandte, tröstete sich damit, daß
er lediglich den diabolischen Machenschaften der Freimaurer den Verlust seines
Thrones verdankte. Einer seiner Äußerungen vom 5. Februar 1930 zufolge gibt es
vom "christlichen Standpunkt" aus kein "souveränes Volk",
vielmehr sei dieses die "Formel der von Freimaurern inszenierten
Französischen Revolution." Die Tatsache, daß der
Kaiser, der 1932 einen nationalsozialistischen Staatsstreich herbeisehnte und
anfänglich über die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten
"begeistert" war, schon wenige Wochen später glaubte, vor dem
"Nazi-Staat" warnen zu müssen, weil dieser nicht an eine
monarchistische Restauration dachte, ist ein schlagendes Beispiel dafür, in wie
kurzsichtiger Weise konservative und monarchistische Gegner der Weimarer
Republik den Nationalsozialisten in die Hände arbeiteten. Sie taten es, weil
sie mit den Nationalsozialisten in wesentlichen Punkten grundsätzlich
übereinstimmten, nämlich in der Ablehnung des als
"jüdisch-freimaurerisch" abqualifizierten Gleichheitsprinzips, d.h.
der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, sowie von Liberalismus und
Sozialismus.
Erich und Mathilde Ludendorff verbreiteten ihre Vorstellungen
nicht nur durch Publikationen. In größeren Städten wurden eigene
"Ludendorff-Buchhandlungen" eingerichtet. Auch Vortragsreisen
unterstützten die Propagierung des Verschwörungsmythos. Bei derartigen
Vorstellungen gelang es den Ludendorff’s,
Säle mit weit über tausend Personen zu füllen. Das alles dürfte einen
gewichtigen Anteil an den relativ hohen Auflagezahlen
ihrer Schriften gehabt haben. Schon vor Ende 1927
wurde für das Buch "Vernichtung der Freimaurerei" die Zahl 1000.000
überschritten, insgesamt erreichte es eine Auflage von 180.000 Stück.
"Kriegshetze und Völkermorden" wurde in 70.000, und die anderen
größeren Veröffentlichungen beider Ludendorff’s
in jeweils an die 50.000 Exemplaren aufgelegt. Dennoch war die allgemeine
öffentliche Reaktion auf diese antifreimaurerischen Publikationen eher negativ.
Die renomierte Presse lehnte sie scharf ab.
Beispielsweise schrieb die "Kölnische Zeitung" über "Vernichtung
der Freimaurerei": die Schrift gehöre "auf den Speicher der Makulatur
als ein Gemengsel von Unkenntnis, Urteilslosigkeit, Anmaßung und vorgefaßter Meinung, das sich als
der Weisheit letzter Schluß gebärdet". In der
Tat nahm das öffentliche Ansehen, das der ehemalige General durch die ihm
zugeschriebenen militärischen Leistungen erworben hatte, stark ab. Selbst in
völkischen Kreisen isolierten sich die Ludendorff’s
immer mehr, wie das Verhältnis zur aufkommenden NSDAP deutlich zeigte. Seine
antichristliche Haltung brachte Ludendorff sogar in Gegensatz zu den
katholischen Freimaurer-Gegnern. Etwa bezeichnete der schon erwähnte Hermann
Gruber Ludendorff’s Werk als
"das Nonplusultra des blödsinnigsten Schwindels". Von dieser
Einschätzung her, kann jedoch nicht auf eine Wirkungslosigkeit der Schriften Ludendorff’s geschlossen werden, Sein Buch
"Vernichtung der Freimaurerei" erreichte zwischen 1918 und 1945 die
höchste Auflagenzahl antifreimaurerischer Schriften.
Allen Verschwörungslegenden zum Trotz bestanden die Freimaurelogen im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert
keineswegs aus Juden. Ganz gegenteilig wurden Juden trotz des mauerischen Toleranzprinzpis eher
selten in die Logen aufgenommen. Vor 1789 durften sie überhaupt nur in
sogenannten Winkellogen Mitglied werden. Erst sehr spät, im 19. Jahrhundert,
wurde der sechszackige Davidstern, der manchmal mit dem Symbol der Freimaurer
aus dem 17./18. Jahrhundert in Verbindung gebracht wird, zum Symbol des
Judentums. Bis dahin hatte man ihm diesbezüglich keine besondere Bedeutung
beigemessen. Als eines von vielen Symbolen war er auch in anderen Kulturen weit
verbreitet. Der Historiker Norman Cohn bezeichnet die Fraumaurerei
und auch die Illuminate sogar als "im Großen und
Ganzen judenfeindlich". Dennoch betrachtete man die Juden immer mehr als
Urheber, Förderer und Nutznießer revolutionärer Veränderungen in Frankreich und
Amerika. Am Beginn der Entstehung dieses modernen Mythos stand ein Brief von
Hauptmann Jean-Baptiste Simonini an Abbe Barruel.
In diesem Brief, der in Wahrheit von der französischen
Geheimpolizei unter Fouche stammte, wird Barruel darauf hingewiesen, daß
er in seinen "denkwürdigen" Schriften die "jüdische Sekte"
nicht berücksichtigt habe. Weiters ist in ihm zu lesen, daß
Simonini sich in jüdischen Kreisen als Jude
ausgegeben habe, wonach ihm die Juden Gold und Silber gezeigt hätte, das zur
Verwendung für ihre politischen Umsturzpläne bestimmt sei. Damit nicht genug.
Der Brief datiert den Beginn der Verschwörung sogar vor die Zeit der Templer
und behauptet, daß Freimaurer und Juden schon seit
vielen Jahren gemeinsame Sache machten. Im 3. Jahrhundert, heißt es es, sei der Perser Mani, der Begründer des Manichäismus,
und vom 11. bis zum 13. Jahrhundert der geheimnisvolle "Alte vom
Berge", der Führer der Assassinen-Sekte, Juden gewesen. Juden hätten auch
die Freimaurerei und den Illuminatismus begründet und
auch die Geistlichkeit Europas sei bereits jüdisch unterwandert. Das Ziel der
Juden sei die Unterwerfung und Versklavung des Christentums.
Hier fügte sich der christliche Antijudaismus mit allen
Stereotypen, wie sie seit Jahrhunderten überliefert wurden und in den Menschen bewußt oder unbewußt gefestigt
wurden, nahtlos in das sich herausbildende neue Feindbildkonzept der
jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung ein. Der sich auch auf die
Französische Revlution beziehende Simonini-Brief
ist ein Fixpunkt in einer Reihe ähnlicher Hetzschriften, die den gezielt
produzierten Ersatzmythos ankurbelten. In dieser Tradition fabrizierte man
später auch die Protokolle der Weisen von Zion, eine Fälschung der
antisemitischen zaristischen Geheimpolizei, die in viele Sprachen übersetzt
wurde. Obwohl die Protokolle durch H.B.Itto als
Fälschung entlavt wurden ("Die Protokolle der
Weisen von Zion – Anatomie einer Fälschung"), tauchten sie immer wieder in
diversen Schriften auf.
Bei diesem künstlich kreierten Mythos geht es um ein Treffen,
bei dem Juden beschlossen, eine Weltregierung einzurichten, deren eigentliche
Drahtzieher sie selbst sind. Diese Weltregierung wird mit den Freimaurern
gleichgesetzt, die als Denkorganistation der
jüdischen Verschwörung dargestellt sind. Rosenberg, der sie in Thule-Kreisen
zirkulieren ließ, veröffentlichte die Protokolle 1923.
Die Nazi-Theorie von der Weltverschwörung
und der Hitlerische Esoterismus der Nachkriegszeit
Im Hinterzimmer eines prominenten Buchladens wurde mir 1989 ein
Video mit dem Titel "UFO - das Dritte Reich schlägt zurück" gezeigt.
Es wurde mir damals klar, daß hiermit eine
Unterwanderung der Esoterikszene begonnen hatte, wobei die Worte des von mir in
diesem Zusammenhang aufgesuchten Wilhelm Landig, er
hätte seine Thule-Trilogie im "Auftrag" seiner
"Vorgesetzten" geschrieben, an Bedeutung gewannen. Ebenso zeigten
Dokumente vom CIA, die ich in den USA durch einen Bekannten zur Ansicht bekam, daß schon am Ende des 2.
Weltkrieges das "UFO-Nazi-Geheimwaffenthema" vom Nazi-Geheimdienst
als Desinformationsmittel benutzt wurde.
Weshalb gerade die Esoterikszene für eine derartige Agitation
von Interesse ist, zeigt sich an in Deutschland durchgeführten Studien. Seit
1980 war die Zahl der an Esoterik Interessierten von etwa fünf auf gegenwärtig
rund fünfzig Prozent gestiegen und laut einer FORSA-Umfrage sind 93 Prozent der
Deutschen an geheimnisvollen, wissenschaftlich nicht erklärbaren Dingen
interessiert.
Es gibt kaum einen Faden des völkischen Okkultismus, der nicht
über Wien führte oder von Wien ausging. Die abrupten Veränderungen, welche die
Hauptstadt der K. und K.-Monarchie in der zweiten Hälte
des 19. Jahrhunderts erfuhr, bildeten den Nährboden für Pangermanismus,
Antisemitismus und Esoterik. Die ersten Regungen des slawischen Nationalismus
unterminierten die als selbstverständlich betrachtete Vorherrschaft der
deutschen Sprache und Kultur im Kaiserreich. Immer neue Generationen
osteuropäischer Einwanderer ließen sich in den Wiener Vorstädten nieder.
Zwischen 1860 und 1900 verdreifachte sich die Einwohnerzahl Wiens nahezu und
die ländlichen Vororte wurden zu proletarischen Elendsvierteln. Hitler war
schockiert vom Kontrast zwischen dem äußeren, ethnisch gemischten,
proletarischen, und dem inneren monarchistischen Wien – "Strahlender
Reichtum und abstoßende Armut lösten einander in schroffem Wechsel ab."
Die Verunsicherung durch das Fremde verführt dazu, die eigene
Identität durch den Rückgriff auf die Rasse zu stärken. Die gemeinsame
Abstammung soll gegenüber der Herausforderung durch das Andere
absichern und die eigene Unsicherheit wird auf das Ideal der Rassenreinheit zu
einer Zeit projiziert, als die Völker angeblich noch nicht wanderten und sich
noch nicht vermischten. Lange Zeit hatte die Abgeschlossenheit antisemitischer
und esoterischer Zirkel, wie Z.B. die Guido-von-List-Gesellschaft, der
Neutemplerorden und der Germanen-Orden, eine größere Außenwirkung auf das
kaiserliche Österreich verhindert, das wegen der
konservativen Macht von Herrscherhaus und Katholischer Kirche hinter der
raschen kapitalistischen Entwicklung anderer europäischer Länder
zurückgeblieben war. Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers war der Anlaß für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, auf desen Schlachtfeldern auch der Glanz der Monarchie zu Grabe
getragen wurde. Die Kriegsniederlage von 1918 löste den völkischen Okkultismus
aus der Abgeschiedenheit seiner Zirkel, machte den Pangermanismus zu einer
politischen Kraft, und politisierte den Antisemitismus, der nun nicht mehr,
gemäß dem Kraus’schen Diktum ziellos nach einem
Ursprung strebte, sondern sich ein konkretes Ziel setzen konnte – den Anschluß Österreichs an das deutsche Reich und die
Vernichtung der Juden.
Wilhelm Landig, geboren am 20.
Dezember 1909 in Wien, war einer der frühen österreichischen Anhänger Hitlers
und anfangs der profilierteste Vertreter der nationalsozialistischen Esoterik
im deutschsprachigen Raum. Er gehörte zu einem Mittelschul-Freikorps und
erhielt unter Kapitänleutnant Krüger, der 1920 als Kompaniekommandant des
Freikorps Erhard am Kapp-Putsch in Berlin teilnahm, eine militärische
Ausbildung in der Umgebung Wiens. Nachdem die österreichische NSDAP 1933
verboten wurde, war er ein "Illegaler", der wegen seiner Beteiligung
am gescheiterten Putschversuch der Nationalsozialisten im Juli 1934 ins
deutsche Reich fliehen mußte, wo er als
"illegaler" Österreicher in hohem Ansehen stand und der SS beitrat. Landig gehörte zum Sicherheitsdienst (SD) der SS. Weil
seine Freikorpszeit als militärische Tätigkeit anerkannt wurde, war er auch
Mitglied der Waffen-SS. Er wurde am Arbeitswissenschaftlichen Institut in
Berlin angestellt, das der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unterstand. Unmittelbar
nach dem "Anschluß" Österreichs kam er,
bereits eine Woche bevor sich die SS in Wien einrichtete, mit einer
Sondergenehmigung des Reichsführers-SS Heinrich Himmler in die österreichische
Hauptstadt, wo er Sachbearbeiter des SD für geheime Reichssachen wurde und eine Abteilung leitete, die aus ihm selbst und
zwei Untergebenen bestand. Seine SS-Zugehörigkeit und seine Bekanntschaft mit
Himmler erlaubten ihm, sich direkt, an Schirach vorbei, mit Berlin in
Verbindung zu setzen.
Nach Landig‘s Darstellung gehörten zu
seinem Aufgabenbereich in Wien die Koordination der Produktion von
Flugscheiben, über die er nur andeutungsweise spricht. In seinen später
geschriebenen Büchern spielen sie als HAUNEBU- Flugscheiben, die tief ins All
flogen, eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang erwähnt Landig
SS-Standartenführer Schäfers Expedition nach Tibet, die esoterischen Zwecken
gedient haben soll. Das esoterische Wissen, so Landig,
sollte auf die reale Technik angewandt werden. Aber er war nicht nur für die
rätselhaften Flugscheiben verantwortlich, auch für die Kriegsspionage. In den
besetzten Balkanländern kämpfte er gegen Partisanen. Als er 1944 verwundet
wurde, kam er ins Kriegslazarett in Belgrad, von wo aus er nach Wien
zurückkehrte und in der Abteilung I (Inland) der SD arbeitete. Nach der
Kriegsniederlage des Dritten Reiches wurde er im September 1945
"erwischt" und "nachdem er unbehelligt "600 U-Boote in Gang
gesetzt hatte, "durch einen Leichtsinn", wie er bitter feststellte,
von den Briten verhaftet.
Nach 1945 gehörte Landig einigen
nationalsozialistischen Organisationen an, wie dem Verband der Unabhängigen (VdU, einer Vorgängerorganisation von Jörg Haider’s FPÖ) und der
"Demokratisch-nationalen Arbeiterparetei"
(DNAP). Der Wiener Tradition der Zirkelbildung treu bleibend, betätigte er sich
in Kleingruppen wie der "Arbeitsgemeinschaft für demokratische
Politik" (AFP). Die AFP gibt die Monatspostille "Kommentare zum
Zeitgeschehen" heraus, die auch von bundesdeutschen Rechtsextremisten
gelesen wird. In diesen Zirkeln, nach nationalsozialistischer Terminologie
"Freundeskreise" genannt, genießt Landig
die Verehrung eines Meisters. Ab 1955 gab er die Europa-Korrespondenz heraus
und gründete den Volkstum-Verlag, in dem er seine eigenen und andere
einschlägige Bücher verlegte. Wie er sagte, durfte er sein Geheimdienstwissen
nicht preisgeben, weshalb er "sich hinter der Romanform
versteckt(e)". Aber in seiner Trilogie "Götzen gegen Thule",
"Wolfszeit um Thule" und "Rebellen für Thule" berichtete er
über "wirkliche Ereignisse". Der rote Faden der insgesamt 1850 Seiten
langen Trilogie sind die Wunderwaffen (Flugscheiben und ebenfalls esoterisch
angetriebene U-Boote), sowie das Weiterbestehen des Deutschen Reiches in
Verstecken der Antarktis und den Anden.
Die Thule-Gesellschaft und der "Endkampf um die Erde"
Die Thule-Gesellschaft, aus der später die NSDAP entstand, wurde
1918 als Fassadenorganisation des gegen Ende des
Ersten Weltkrieges in Verruch geratenen
Germanen-Ordens gegründet. Ein späteres Video, "UFO-Geheimnisse des
Dritten Reiches", das deutlich auf die wichtigsten Elemente der
Thule-Tradition zurückgreift, handelt von der Vril-Gesellschaft,
Sebottendorff, einer Jenseitsflugmaschine und von
Viktor Schauberger, der durch Rückgriff auf das Wissen der Templer den
Levitation-Tachioantrieb erfand. "Die Thule",
besagt das Video, schuf "innerhalb der SS die Geheimgesellschaft "Die
schwarze Sonne". Die Rechte an diesem Video liegen bei der (inzwischen
umbenannten) Wiener Tempelhofgesellschaft, der "Societas Templi Marcionis", STM,
einer Geheimgesellschaft, die ein Zentrum in Hamburg hat und eine
Nachfolgeorganisation des ONT von Lanz von Liebenfels
ist, der 1954 in Wien starb. Seine Ideologie entstammte im Wesentlichen dem
Kerngehalt des 1912 ins Leben gerufenen Germanen-Ordens, der sich ab 1918 in
Thule-Gesellschaft umbenannte. Bonder nennt ihn in
seinem Buch "Der Mann" als denjenigen, "der Hitler die Ideen
gab". Im Nachspann des Videos heißt es u.a.: "Esoterische Beratung:
Freie Autorengemeinschaft der Lichtmedien", Drehbuch Jürgen-Ratthofer, Ralf Ettl, und als Archivquellen sind genannt:
Der Templer-Orden in Wien, sowie als Berater Wilhelm Landig.
Ettl arbeitete auch an dessen drittem Thule-Buch mit.
Folgt man den Ausführungen von Jürgen-Ratthofer
und Ettl, stellte die "Vril-Gesellschaft"
zunächst nur einen besonderen Zweig der Thule-Gesellschaft dar, der jedoch im
Lauf der Zeit immer selbständiger wurde und besonders esoterische Studien
pflegte, die mit einer möglichen technischen Anwendung verknüpft waren. 1934
sei es dann den Wissenschaftlern und Ingenieuren der "Vril-Gesellschaft"
gelungen, ein erstes flügelloses Rundflugzeug (die Flugscheibe) zu
konstruieren, dessen Antrieb auf elektromagnetischer Rotation beruhte. Bis ins
Jahr 1945 sei es dieser Wissenschaftergruppe möglich
gewesen, die Flugscheiben immer weiter zu verbessern und noch leistungsstärkere
Typen zu entwickeln, die in den Dienst des "Dritten Reiches" gestellt
wurden. U.a. hätten sie die Errichtung deutscher militärischer Geheimbasen auf
dem Mond und dem Mars ermöglicht. Wer nicht weiß, wie die dokumentarischen
Abschnitte, die gespielten Szenen und die Interviews mit UFO-Sehern voneinander
zu unterscheiden sind, wird dieses Machwerk als Dokumentation annehmen.
Die Darstellung der beiden Autoren beschränkt sich jedoch
keinesfalls auf technische und militärgeschichtliche Fragen in Zusammenhang mit
dem "Dritten Reich" und dem Zweiten Weltkrieg. Vielmehr wird
behauptet, daß die grundlegenden Kenntnisse, welche
der "Vril-Gesellschaft" ihre gewaltigen
technischen Erfolge ermöglichten, auf jahrhunderten-,
wenn nicht jahrtausendealten esoterischen Überlieferungen beruhen, die den
Gründern der Gesellschaft 1917/18 von einer weitaus geheimnisvolleren
Gruppierung übermittelt worden wären – vom Orden der "Herren vom Schwarzen
Stein". Dabei handelt es sich um einen angeblich in Bayern die
Jahrhunderte überdauernden Zweig der von Mythen umrankten mittelalterlichen
Tempelritter. Aber auch deren Informationen seien noch nicht der Ursprung
gewesen, denn auch die Templer hätten ihr weitreichendes Wissen aus noch
wesentlich älteren Quellen geschöpft. Der eigentliche Ursprung sei zunächst ins
Zweistromland, in die Reiche von Sumer und Babylon zurückzuverfolgen und von dort
aus auf den fernen Planeten Aldebaran im Tierkreiszeichen Stier. Dessen
Bewohner seien die Urahnen sowohl der Sumerer, wie
auch der Germanen.
Aus fernster Vergangenheit und an die
vielfältigen Vermutung über einen außerirdischen Ursprung der Menschheit
anknüpfend, schlagen die Autoren den Bogen zur nahen Zukunft. Denn die mit Vril-Kraft angetriebene und von einem Raumschiff der Vril-Gesellschaft herbeigerufene aldebaranische
Raumflotte befände sich bereits im Anflug auf die Erde, wo sie in Kürze
eintreffen werde, um ihren Verbündeten, den teilweise in innerirdischen Basen
ausharrenden Hütern der sumerisch-templerischen Vril-Tradition, im Kampf gegen die Siegermächte des Zweiten
Weltrkrieges zu Hilfe zu eilen. Dieser Aspekt wird in
einen späteren, 1993 erschienenen Broschüre Jürgen-Ratthofers
mit dem dramatisch-reißerischen Titel "Demnächst‚
Endkampf um die Erde?‘ weiter ausgeführt.
Südamerika und die Entstehung des Hitlerischen Esoterismus
Der Schauplatz, auf dem sich die Thule-Mythologie nach dem Ende der Hitlerdiktatur weiter
entwickelte, war das südliche Lateinamerika. In Buenos Aires und
Santiago wurde der völkische Okkultismus, der in Wien und München seinen
Ausgang nahm, zu einer nicht mehr an eine bestimmte Rasse gebundene
Ersatzreligion umgeformt. Das war nicht zuletzt dank der Organisation
ehemaliger SS-Angehöriger (ODESSA) möglich, einer gegen Ende
des zweiten Weltkrieges eingerichteten Fluchtorganisation der SS. Bekanntester
Fluchtweg war die "Rattenlinie" mit dem Angelpunkt Rom. Die ODESSA
bestand bis in die Sechziger Jahre hinein und hielt Treffen vor allem in
Paraguay, Chile, Brasilien und Argentinien ab, wo sich Kolonien geflohener
Nationalsozialisten bildeten. Über Bolivien schreibt Ernesto Mila: "Wir
konnten uns persönlich davon überzeugen, daß es
gegenwärtig in Bolivien eine Vereinigung gibt", innerhalb derer ein
innerer Zirkel esoterischen Charakters besteht, der die Namen Loge des
schwarzen Condor oder Thule-Loge trägt. Die Mitglieder dieses "inneren
Zirkels" hängen einer Lehre an, in die einzudringen uns nicht vergönnt
war; wir wissen jedoch, daß ein großer Teil ihrer
Praktiken sich um die "astrale" Projektion und andere okkultistische
Varianten derselben Art dreht. "Wir haben davon abgesehen, diese
Tätigkeiten zu evaluieren, aber wir konnten feststellen, daß
ein guter Teil des höheren bolivianischen Offizierkorps zu besagter Loge
gehört." Der Autor bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Ernst Röhm‘s Bolivienaufenthalt 1929-1930, auf den die Logen
zurückgehen. Auch "Barbie" gründete gemeinsam mit alten, geflüchteten
Nationalsozialisten und faschistischen Militärs einen "Thule-Orden in
Südamerika.
In diese Länder reiste auch Landig,
dessen Bedeutung nicht nur in seinen literarischen Produktionen lag, auch wenn
diese unter Nationalsozialisten und Neonationalsozialisten recht bekannt sind.
Er bereiste fast alle Länder der Erde, finanziert wurden seine Reisen, wie er
sagte von "einer amerikanische(n) Ölgesellschaft". Landig waren nach 1945 viele Nationalsozialisten bekannt
und er organisierte unermüdlich Treffen und beteiligte sich an verbotenen
Aktivitäten. Er arbeitete mit Juan Maler zusammen und beherbergte Miguel
Serrano und Savitri Devi, die u.a. zu den Begründern
des esoterischen Hitlerismus der Nachkriegszeit gehört.
Savatri Devi,
wie sich eine 1905 in Lyon geborene Anglogriechin nach ihrer Heirat mit einem
Inder nannte, fühlte sich einer "kleinen Minderheit nichtdeutscher
Arier" zugehörig. Ihre Studien über die Arier betrieb sie, durch den Krieg
von Europa abgeschnitten in Indien. Nach dem Krieg ging Devi nach Deutschland,
wo sie im westfälischen Werl wegen natonalsozialistischer
Propaganda zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Sie nutzte sie dazu, ihr Buch
"Gold im Schmelztiegel", das erste Werk des esoterischen Hitlerismus
zu schreiben. 1982 starb sie in England ohne, wie es ihr sehnlicher Wunsch war,
"von einem Neger oder Juden erschossen" worden zu sein. Auch in
interessierten Kreisen ist Savitri Devi kaum bekannt,
obwohl Christophersens Nordwind-Verlag nach wie vor ihr Buch vertreibt. Es
blieb Miguel Serrano vorbehalten, den esoterischen Hitlerismus auch im
deutschen Sprachraum bekannt zu machen.
Serrano wurde 1917 in Santiago geboren. Auf der Suche nach
Hitler, an dessen Tod er nicht glauben wollte, bereiste er 1947 und 1948 die
Antarktis. Er war Chilenischer Botschafter in Indien
(1953-1962) und Jugoslawien (1962-1964) und von 1964 bis 1970 Botschafter in
Österreich, wo er in Wien im Kontakt mit esoterischen Zirkeln stand, zu denen
auch Wilhelm Landig gehörte. Nachdem er durch den
Regierungsantritt des chilenischen Präsidenten Allende seines Amtes enthoben
wurde, widmete sich Serrano in Österreich "der Untersuchung des
esoterischen Hitlerismus in Europa." In Madrid traf er Otto Skorzeny. Zwei Wochen nach dem Militärputsch in Chile am
11. September 1973 kehrte Serrano in seine Heimat zurück und erreichte eine
Audienz bei den vier Generälen der Militärjunta.
Serrano’s frühe
Erzählung "Die Suche nach der verborgenen Blume" beschreibt Chile als
das für die Wiederkunft einer besseren Rasse auserwählte Land. In dieser
Erzählung ist er Teilnehmer eines Orden ähnlichen
Zirkels. Nach seiner Darstellung kämpfte die SS während der
nationalsozialistischen Herrschaft nicht gegen Menschen, sondern gegen
"Wesenheiten oder Gottheiten". Ähnlich wie de Mahieu,
der 1972 ein dreibändiges Werk über Aufstieg und Fall eines Wikingerreiches im
präkolumbianischen Lateinamerika schrieb, spricht Serrano von einem
geheimnisvollen Riesengeschlecht in den Anden, von denen heute noch einige
leben sollen. Auch er zitiert den okkulten inneren Zirkel innerhalb der SS, den
"Schwarzen Orden", der einen "metaphysischen Sieg" errungen
habe. Nach Serrano’s
Auffassung befindet sich der "Führer" heute in der Antarktis, denn
Hitler habe am 30. April 1945 nicht Selbstmord begangen, sondern sei von einem
atomar betriebenen U-Boot gerettet worden.
Die Ursprünge des esoterischen Rechtsextremismus gehen ebenso
wie das letzte Mittel der Durchhaltepropaganda, die Legenden von den
Nazi-Wunderwaffen, bis zu den okkulten Lehren der Thule-Gesellschaft zurück.
Wilhelm Landig, der kürzlich verstarb, stellte Thules
Wanderung nach Lateinamerika literarisch dar und berichtete voller Stolz, daß seine Bücher in der Siedlung von Colonia Dignidad
aufliegen.
Diese in Südchile gelegene deutsche Siedlung wurde 1961 von
einer deutschen Sekte mit esoterischem Einschlag gegründet. Sie besitzt
zahlreiche Verbindungen zu lateinamerikanischen und europäischen
Nationalsozialisten und diente nach dem Militärputsch von 1973 der chilenischen
Geheimpolizei DANN als Folterlager. Nachdem die Beweise für die Folter auf dem
Gelände der Kolonie immer handfester wurden, begann sich die Siedlung mit Hilfe
eines "Freundeskreises" zu wehren, zu dem viele Personen der chilenischen
und der deutschen äußersten Rechten und Faschisten gehörten. In seinen Werken
verteidigt Juan Maler die Kolonie, von der er auch viele nicht publizierte
Einzelheiten kennt. Als im Februar 1991 die demokratisch gewählte chilenische
Regierung per Dekret der Colonia Dignidad die juristische Person und damit den
Status einer gemeinnützigen Körperschaft entzog, reagierte der Freundeskreis
mit "Schmerzenserwachen", das weit länger als ein Jahr im Freien
abgehalten wurde und einen deutlich esoterisch-rituellen Charakter besaß.
Die Thule-Tradition wird in Chile auf mehreren
landwirtschaftlichen Gütern gepflegt, aber davon dringt kaum etwas nach außen.
Offenbar handelt es sich um einen Zirkel, dessen innerster Kern streng
abgeschirmt wird und nur die äußeren Zirkel arbeiten etwas offener. In seinem
programmatischen Buch mit dem Titel "El circulo hermetico" (wörtlich "Der hermetische Zirkel)
beschrieb Serrano dieses Organisationstyp in dichterischer Form. In Kreisen des
chilenischen Militärs, vor allem unter den deutschstämmigen Offizieren ist
"Thule", das sagenhafte nordische Reich einer weißen, hyperboreischen
und arischen Ahnenschaft ein Begriff. Westlichen
Esoterikern war es Ende des 19. Jahrhunderts von der
Mitbegründerin der Theosophischen Gesellschaft, H.P. Blavatksy
in ihrer "Geheimlehre" präsentiert worden. Als 1978 die Spannungen
zwischen Chile und Argentinien fast zum Krieg führten, kursierte in diesen
Kreisen ein "Plan Germania" (Plan Germanien), nach dem das
militärisch schwächere Chile in einer Art Blitzkrieg argentinische Flüsse
vergiften, Argentinien erobern und mit einem Teil Brasiliens zu einem einzigen
Land vereinen sollte, dessen Hauptstadt Santiago gewesen wäre. Als
Kolonisatoren in Argentinien waren Chilenische
Reservisten vorgesehen. So verworren das auch klingen mag, gibt es dennoch
einen Bezug zur damaligen Kriegsplanung des von Großmachtvorstellungen
besessenen chilenischen Geheimdienstes DINA. Ihr lag der Gedanke einer
rassischen Überlegenheit der Chilenen gegenüber ihren "degenerierten"
Nachbarn zugrunde, die durch Einwanderung und Mischung mit der indianischen
Bevölkerung entstanden.
Worauf der Neuimpuls der Thule-Mythologisierung
in der Nachkriegszeit zurückzuführen ist, deutete Landig
an, der mir gegenüber Zitate aus den in den frühen
Sechziger Jahren erschienenen Büchern von Charoux
verwendete, um manche seiner Theorien zu beweisen. Auch Erwähnungen von
"Nazis und das Okkulte" in Pauwel’s und Bergier’s Buch "Morgenröte der Magier" scheint Landig der Beweisführung seiner Theorien zugrundegelegt zu haben. Pauwels/Bergier
bezogen sich auf einen Artikel des deutschen Raumfahrtwissenschafters
Willy Ley aus den USA, in dem auch die Vril-Gesellschaft
genannt wird. Diesem Artikel stand in den Siebzigerjahren eine Flut von Büchern
über die Beziehung zwischen den Nazis und dem Okkulten gegenüber. Daraus ging
der Bestseller von Trevor Ravenscraft, "Der
Speer des Schicksals" hervor. Wurden Informationen Charroux
und Bergier bewußt in die
Hand gespielt? Das ist eine für Geheimdienste typische Vorgehensweise, die
sogar kurzfristig Pressedienste oder Zeitungen ins Leben rufen, um gewisse
Informationen zu kreieren, die von Ahnungslosen aufgegriffen und in die ganze
Welt getragen werden.
Die Vril-Gesellschaft, Flugscheiben
und UFO’s
Ihrem Ursprung nach stellte die Vril-Geschichte
zunächst die Verarbeitung alter Überlieferungen und Legenden durch einen
viktorianischen Literaten und Esoteriker dar. Lord Edward Bulver-Lytton
gelang es in einmaliger Weise, Erkenntnisse der traditionellen Alchimie, Lehren
des Rosenkreuzertrums, die Sagen und Berichte um
bewohnte Hohlräume im Erdinneren, Mesmer’s und Reichenbach’s Erkenntnisse um den
Magnetismus, sowie viele andere, von der offiziellen Wissenschaft kaum
beachtete oder sogar verachtete Quellen zu einem visionären Ganzen zu verbinden
und daraus eine zukunftsweisende energetische Konzeption zu entwickeln. Die
moderne und bis heute in vielfältigen Formen weiter blühende Fassung der
Legende stellt die sich an Bulwer-Lytton‘s Konzeption
anlehnenden "Vril-Gesellschaft" dar, deren
vermutete Macht und mögliche Bedeutung in den Jahren des "Dritten
Reiches".
Als Ausgangspunkt dieses modernen Mythos läßt
sich unschwer ein Text identifizieren, den Willy Ley 1947 in "Astounding Science Fiction"
veröffentlichte. Der von Bulwer-Lytton im vorigen Jahrhundert selbst
angesprochene Vergleich mit Mesmer und Reichenbach zeigt auf, daß sich der Autor von "The Coming Race"
mit seiner Theorie des Vril im Rahmen seinerzeit
gängiger grenzwissenschaftlicher Diskussionen bewegte. Gleichzeitig griff er,
wie auch Mesmer auf ältere Konzeptionen, etwa von Paracelsus und Kircher zurück.
Dasselbe tat Reichbach, ohne sich allerdings so stark wie Mesmer zu esponieren. Nach späteren Angaben von Bulver-Lytton
fanden zwischen ihm und Eliphas Levi in Paris oder
Nizza Begegnungen statt. Ein Brief von Levi soll auch in seiner Biblithek vorliegen. Er enthält Hinweise, die von
besonderem Interesse sind, will man jene geistigen Einflüsse erkunden, die bei
der Herausbildung der energetischen Konzeption des "Vril"
in "The Coming Race" eine Rolle spielten.
Wie Bulwer-Lyttons Sohn mitteilt, sei in dem Schreiben "von der Existenz
einer Universalkraft und der Art ihrer Anwendung die Rede." Tatsächlich
hatte Levi im Rahmen seiner weitgespannten esoterisch-magischen Studien eine
eigene Theorie des "Astrallichtes" geschaffen, die an die älteren
Vorstellungen des "siderischen Lichtes" von Paracelsus anknüpfte.
Der Begründer der "Raumkraft"- oder
"Urkraft"-Theorie war Karl Schappeller.
Seine Berliner Epigonen in der "Reichsarbeitsgemeinschaft ‚Das kommende
Deutschland‘ deuteten sie unter Einbeziehung von Ansätzen Bulwer-Lyttons und
Elementen des alchimistischen Denkens als "Vril-Energie"
und propagierten sie öffentlich. Mit ihnen steht Landig,
der spätere Schloßherr, ein pensionierter Postmeister
aus Aurolzmünster, am Anfang der Legendenbildung um eine mächtige geheime
Gesellschaft, die während dem Ende des Ersten und dem
Ende des Zweiten Weltkrieges die Geschicke des
gesamten mitteleuropäischen Raumes lenkte - der "Vril-Gesellschaft".
Diese Legendenbildung reicht von Schappeller’s Ideen
über die Reichsarbeitsgemeinschaft und eine Darstellung von Willy Ley, die in
dem amerikanischen Magazin "Astounding Science Fiction" erschien, bis zum Aufgreifen von
dessen Anmerkungen durch Pauwels/Bergier, wonach es
zu immer phantastischeren Ausschmückungen kam.
Anhänger des Schrappeller‘schen Konzeptes mögen sich,
unter Umständen unabhängig von ihrem "Meister" und eventuell sogar
nach einem Zerwürfnis mit ihm als "Reichsarbeitsgemeinschaft ‚Das kommende
Deutschland‘ konstituiert haben und mehr oder weniger "auf eigene
Rechnung" mit der Propagierung der entsprechenden Reformideen begonnen
haben. Die Einbeziehung von Bulwer-Lyttons "Vril"-Begriff,
der in der 1928 erschienenen "Raumkraft"-Broschüre noch völlig fehlt,
und bestimmter Bilder aus der alchimistischen Tradition können vor dem
Hintergrund einer derartigen Annahme als Versuch angesehen werden, die
technischen Vorstellungen Schappeller’s stärker in
einen ganzheitlich-esoterischen Kontext zu integrieren und damit gedanklich
weiterzuführen.
Daß
sogenannte "Flugscheiben" oder "Flugkreisel" während des
Krieges von Technikern und Ingenieuren wie Schriever, Habermohl,
Miethe, Bellonzo und Epp im Rahmen wehrtechnischer
Forschungen konstruiert und auch praktisch erprobt wurden, steht inzwischen
außer Zweifel. Sie wurden in zahlreichen Büchern und Aufsätzen, die auch in
durchaus seriösen Fachpublikationen erschienen, sogar teilweise unter Angabe
der jeweiligen Konstruktionspläne dargestellt. Inzwischen schrieb Mark Birdsall unter Verwendung englischer Geheimdienstquellen
ein Buch über die V-7, oder zeigte Harald Fäth in seinem im August 1999
erschienen Buch "Geheime Kommandosache" auf, daß
die Nazis am Endes des Zweiten Weltkrieges mehrere
Atombomben in Produktion hatten. Vom Prinzip her handelte es sich dabei um
flügellose Flugzeuge und damit um eine sehr reale technische Möglichkeit, die
bis in die Gegenwart aktuell ist. Die bekannt gewordenen Modelle dieser
Flugscheiben besaßen allerdings so gut wie ausschließlich einen Düsenantrieb
mit herkömmlichem Treibstoff. Sie benutzten also die von Schappeller
und der Reichsarbeitsgemeinschaft so vehement verurteilte Verbrennungs-,
Explosions- bzw. "Schieß"-Technik und keinesfalls die
"dynamische Technik" des "Schließens".
Eine gewisse Ausnahme in dieser Hinsicht stellten lediglich die
während des Krieges vom österreichischen Forscher und Erfinder Viktor
Schauberger (1885-1958) entwickelten Flugapparate dar. Auf ausdrücklichen
Befehl Himmlers hatte Schauberger, der dem NS-System eigentlich innerlich
fernstand, 1943, zunächst in der SS-Ingenierschule in
Wien-Rosenhügel und danach im Konzentrationslager Mauthausen mit der
Konstruktion solcher Geräte begonnen. Bei seinen vorhergehenden
jahrzehntelangen Forschungen hatte der gelernte Forstmeister bestimmte
Prinzipien der Bewegungskraft entwickelt, die sich - analog zur
den Vorstellungen von einer "dynamischen Technik" bei der
Reichsarbeitsgemeinschaft – an den Abläufen in der Natur orientierten.
Diese ideengeschichtliche und literarische Brücke verbindet den
kleinen oberösterreichischen Marktflecken Aurolzmünster in gewisser Weise mit Landig’s Thule-Trilogie und dem fernen, von Jürgen Ratthofer und Ettl hervorgehobenen Planeten Aldebaran. Aber
Landig und andere Thule-Leute sprachen auch über
einen "Weltenkampf", der zur Zeit
stattfindet. Die Gegner in diesem Weltenkampf sind die Weltbrüderschaft aller
Logen mit Sitz in Chicago. Die dem "Head of all true Freemasons"
unterstehenden Logen sind "Hilfstruppen des Berges Zion", der den
Gegenpol des nordischen Mitternachtsberges bildet. "Unter vielfach
profanen Tarnungen" kämpfen sie für das Ziel des "One
World Governments". Aber diese freimaurerische Verschwörung, (die man sich
immerhin noch als Geheimtreffen von Banken und Politikern in Hinterzimmern
vorstellen kann) ist lediglich ein Werkzeug des nur noch übersinnlich erfaßbaren Judentums.
Die Weltverschwörungstheorie der Neonazis - Freimaurer, Juden,
die UNO und Außerirdische
In letzten Drittel des 20. Jahrhunderts griff die neue
Thule-Mythologie dieses Motiv wieder auf. Nun wird die angestrebte
Weltregierung mit den Vereinten Nationen gleichgesetzt. Als Blaupause für die
spätere Eine-Welt-Verschwörungstheorie dienten die Protokolle der Weisen von
Zion. In dieser Fälschung gibt es eine leicht zu ortende, enthüllende
Fälschung, die darin besteht, daß in einer
englischsprachigen Ausgabe der Protokolle eine Passage über die Weltregierung
mit dem handschriftlich in die Druckfahnen eingefügten Zusatz versehen ist,
"d.h. U.N.".
"Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20.
Jahrhundert", das erste Buch des unter dem Pseudonym Jan van Helsing
schreibenden Jan Udo Holey erschien im November 1993
in dem auf kuriose Esoterik spezialisierten Ewert-Verlag. Sein Erscheinen
begleitete eine massive Inseratenkampagne in esoterischen Zeitschriften. 1995
folgte das zweite Buch "die Geheimgesellschaften 2", und 1996 kam das
dritte Buch mit dem Titel "Der dritte Weltkrieg" auf den Markt,
gefolgt 1997 von "Unternehmen Aldebaran. Kontakte mit Menschen aus einem
anderen Sonnensystem", und im März 1998 vom bislang neuesten Werk
"Die innere Welt" (Ama Deus Verlag). In ihm geht es um Außerirdische,
die den Deutschen im zweiten Weltkrieg halfen, ihre Ufo-Flugscheiben zu bauen
und auch die Theorie von der hohlen Welt und von "friedliche(n) Gruppen
von Deutschen", die im Inneren der Erde wohnen, sind Themen dieses Buches.
Holey‘s erstes
Buch wurde mit über hunderttausend verkauften Exemplaren und Übersetzungen ins
Englische und Französische ein Bestseller sowohl in der esoterischen wie auch
der rechtsextremen Szene. Damit gelang Jan van Helsing der wohl bedeutendste
Coup des Rechtsextremismus nach 1945. Das zweite Buch stellt den Höhepunkt an
antisemitischen Ergüssen dar, während das dritte im Vergleich dazu das relativ harmloseste ist. Weil Helsing dadurch eine
Breitenwirksamkeit erreichte, die anderen rechtsextremen Esoterikthemen, wie
der neuheidnischen Germanenmythologie, dem Runenkult und vornazistischen Lehren
versagt blieben, wollen wir im Folgenden im Lichte unserer bisherigen
Untersuchung näher auf diese Literatur eingehen.
Der Weltraum-Rassismus Helsing‘s
erinnert frappant an die abenteuerlichen "Rassen"-Ideen völkischer
Gruppen der Zwischenkriegszeit, wie den Ostara-Kreis um den oben genannten Lanz
von Liebenfels, der schon damals den dunklen "Tschandalen-Rassen" und Juden mit Begriffen aus
Technik und Elektrizität den arischen Gottmenschen gegenüberstellte. Noch
deutlicher wird Hesing 1997 in seinem Unternehmen
Aldebaran: Nicht nur, daß hier die
Weltverschwörungstheorien als selbstverständliches Allgemeinwissen vorausgesetzt
werden und der Nazi-Ufo-Glaube breitgetreten wird, Helsing stellt auch klar, daß die negativen Außerirdischen mit den USA und die
"menschlich aussehenden" Aliens mit Deutschen und Schweizern
zusammenarbeiten. In ferner Vergangenheit, so Helsing, gab es eine
"Herrenrasse" und eine "Sklavenrasse", die er "Tschandalas" nennt. Lanz, Mitbegründer der Ariosophie, nannte "mischrassige Tiermenschen" Tschandalen. Bei Helsing fanden Vermischungen zwischen
Herrenrasse und Sklavenrasse statt, wobei natürlich die Deutschen den guten
Aliens aus Aldebaren, den Arier-Aliens "noch am
ähnlichsten geblieben" sind, weil sie sich noch am "unvermischtesten" erhalten hätten. Die Hintermänner
der "geheimen Weltregierung" sind die Illuminaten, ursprüngliche
Sklaven, nun aber die "Köpfe der Tschandalas".
Ähnliche Themen findet man übrigens auch bei den
höheren OT-Graden der Scientologen.
Der Kontakt mit den guten Aliens, den Aldebaranern,
bescherte Hitlerdeutschland auch das technologische Know-how der Sternenbrüder.
Mit ihrer Hilfte reisten Nazis zu den Planeten der
Sonne Aldebaran und auch der Mond ist seit dieser Zeit fest in deutscher Hand.
In dieser Science-Fiction-Story befanden sich die Nazi-Ufos im Salzkammergut
unter dem Mondsee und in der Alpenfestung. Mit ihrer Hilfe schuf Hitler
weltweit geheime Kolonien, unter anderem die reichsdeutsche Konie
"Colonia Dignidad", die Helsing als Teil des neuen Lichtreiches
betrachtet. Aufgeklärte Kritiker bezeichen die
Colonia Dignidad als airiergläubige Psychosekte und
wie eingangs ausgeführt als Folterschule des faschistischen Piochet-Regimes
in Chile!
Bei seinen Kontakten mit Aliens, schwärmt Helsing, handelte es
sich um besonders schöne, blonde und blauäugige Exemplare der Spezies Arier,
die entweder "fließend deutsch oder eine andere Sprache mit deutschem
Akzent" sprachen. In geheimen Basen stehen heute drei Millionen
"Reichsdeutsche" bereit – wenige Seiten später spricht er gar von
sechs Millionen, um gemeinsam mit den Heerscharen der Aldebaraner
und Arriannis und deren 22.000 Ufo’s die Illuminaten in die Flucht zu jagen. Dagegen
werde auch das amerikanische SDI-Programm, das zur Abwehr der Hitler-Armada
gegründet worden sei, nichts ausrichten können.
Die Ähnlichkeit zwischen den Buchinhalten von Helsing und Ettl, Ratthofer, Landig, den Armanen, der ONT und den Thule-Leuten ist offensichtlich.
Alles in allem ähnelt der Weltverschwörungsboom der Dreißigerjahre im deutschen
Sprachraum in erstaunlichem Maße der 1993 durch Jan van Helsing ausgelösten
Modewelle. Das ist beispielsweise ganz im Sinne der Strategie der französischen
"Neuen Rechten" von 1968, die über esoterische Organisationen Macht
erzielen möchte und ihren politischen Hintergrund erst allmählich denen
enthüllt, die dafür als aufnahmebereit angesehen werden. Es muß
daher damit gerechnet werden, daß sich eine (auch
politisch) organisierte Helsing-Bewegung formiert, die vermutlich
relativ leicht für rechtsextreme Ziele auch außerhalb Europas eingesetzt
werden könnte.
Eines der Kennzeichen der Verschwörungstheorien ist, daß es sich dabei um ein internationales Phänomen handelt,
das in allen Regimen, sowohl in diktatorischen als auch in demokratischen
Ländern Fuß fassen kann. Etwa verwenden die Araber wie die Nationalsozialisten
die Protokolle der Weisen von Zion "als Verbindungsglied zwischen den
‚kapitalistischen Juden‘ des Westens und den ‚kommunistischen Juden‘ des
Ostens. König Faisal von Saudiarabien und Nasser von Ägypten betrachteten Zionismus und Kommunismus
als die "zwei Seiten derselben Medaille". 1977 behauptete der
Moskauer Arabistik-Dozent Valeri Emelianow "die
Vereinigten Staaten befanden sich in der Gewalt einer
zionistisch-freimaurerischen Regierung unter Führung von Präsident Carter, und
dieser selbst sei eine Marionette der B’nai-B’rith-"Gestapo", die eine weltumspannende
Spionageorganisation betreibe". Andere Publizisten sahen das
"zionistische Freimaurertum" als Drahtzieher hinter den westlichen
Menschenrechtskampagnen", zu deren zionistisch-kapitalistischer
Weltverschwörung auch die Bilderberger und Wirtschaftskonzerne gehörten. In
rechtsextremen sowjetischen Offizierskreisen, im Lager der "Neuen
Rechten" innerhalb der KpdSU, und bei
faschistischen russischen Dissidentenkreisen um die Samisdat-Zeitschrift Veche galt die Legende von der jüdischen Weltverschwörung
als offizielle Lehrmeinung, an die deutsche und amerikanische Neonazis nahtlos
anknüpfen konnten.
Nach allem vorausgegangenem sollte es klar sein, daß die sich gleichenden Verschwörungstheorien austauschbar
und nach Belieben einsetzbar sind. So entwickelte man in Japan den
"Glauben an eine globale jüdische Verschwörung mit dem Ziel Japan zu
zerstören". Die Attacke auf China im Jahr 1937 wurde teilweise durch den
Kampf gegen diese jüdische Verschwörung gerechtfertigt, während man die
Konfrontation mit den Vereinten Staaten als Kampf gegen die jüdische
"Hegemonie" in diesem Land darstellte. 1941 hielt ein japanischer
Schriftsteller fest: "Der Grad, bis zu dem Länder
einen demokratischen Charakter bewahren, entspricht genau dem Grad, bis zu dem
sie von Juden beherrscht werden." Gegen Ende des
Krieges war der westliche Import Antisemetismus in
Japan so weit gediehen, daß führende Zeitungen die
Kapitulation Italiens gegenüber den Allierten als
jüdisches Komplott interpretierten. Einige kehrten sogar die Geschichte um und
sahen in der Expedition des Kommandanten Perry eine jüdische Invasion Japans.
Verallgemeinernd wurden Juden als Marionetten von Stalin, Chinag
Kai-Shek, Roosevelt und Churchill, sowie der
christlichen Religion angesehen, aber nicht damit zufrieden, westliche Theorien
zu wiederholen, erfanden die Japaner auch neue. Beispielsweise präsentierten
sie die Juden als Doppelgänger der Japaner:
Kein anderes Land besitzt eine nähere Verwandtschaft zu den
Juden als Japan. Diese Verwandtschaft läßt sich bis
in die prähistorische Zeit zurückführen... Was heute Judaismus genannt wird ist tatsächlich das Zerrbild einer von
jüdischen Priestern, die sich als Satanischer Gott Yahweh
verkleideten, dem Sumerischen Sonnengott und anderen Göttern aufgezwungenen Religion.....Was als jüdische Kultur bekannt ist,
entwickelte sich auf diabolische Weise als Ausdruck des Zerrbildes der Kultur
der japanischen Sonnengöttin.
Nach dem Krieg verlor die Theorie um eine jüdische Verschwörung
in Japan an Bedeutung. Als es Jahrzehnte später darum ging, die japanische
Identität zu definieren, gewann sie wiederum an Boden. Am auffallendsten wird
das anhand des 1971 erschienenen Buches "The Japanese
and the Jews" sichtbar. Gleichzeitig drückt sich
in ihm die Angst vor den Vereinten Staaten aus. Mitte der Achtzigerjahre brach
dann der Antisemetismus in Japan auf beunruhigende
Weise aus. In zweien seiner Bücher machte Masami Uno (1986) für die
wirtschaftliche Rezession Juden verantwortlich, die praktisch alle
amerikanischen Unternehmen führten. Er prognostizierte die Weltherrschaft durch
eine jüdische Diktatur beginnend mit dem dritten Tempel in Jerusalem. Außerdem
argumentierte er, daß das Zweiparteiensystem der
japanischen Demokratie Teil eines jüdischen Komplotts wäre, dessen Ziel es sei,
Japan zu zerstören. Von seinen Büchern verkaufte er über eine Million
Exemplare. Im Jänner 1995 veröffentlichte dann die Kultgruppe Aum Shinri Kyo ein absurdes Traktat,
in dem Japans Nachkriegsgeschichte als Folge der jüdischen Dominierung
des Landes dargestellt wird. Um diese monströse Kraft zu bekämpfen, erklärte
Aum Shinri Kyo, daß sie "der Schattenregierung der Welt, die eine
ungezählte Anzahl von Menschen mordet, formal den Krieg erklärt". Nur zwei
Monate später, als die Gruppe einen Giftgasanschlag verübte, wählte sie dafür
die U-Bahn in Tokio aus, weil sie das Zentrum der Stadt
als das "jüdische" Herz des Landes betrachtete. Dank logistischer
Fehler wurden mehrere Tausend Menschen nur verletzt und nicht getötet. Aber das
hätte sehr leicht der Fall sein können.
Auch in Indien, dessen Schicksal so lange Zeit von
Großbritannien dominiert wurde, besteht nach wie vor eine große Angst vor einer
westlichen Verschwörung. In einer typischen Behauptung spricht der Exsprecher
der Versammlung der Uttar Pradesh von "einer internationalen Verschwörung
zur Schaffung von Unstabilität" in Indien, indem Gelder in verschiedene
fundamentalistische religiöse Gruppierungen fließen, die das Land nach lokalen
Kastenbräuchen aufsplittern und dadurch "das Fundament des weltlichen
Indien erschüttern". Nicht zuletzt ist das Verschwörungsdenken auch in den
Vereinten Staaten seit der amerikanischen Revolution vor 200 Jahren weit
verbreitet. Das stellte der deutsche Politikwissenschafter Claus Leggewic fest, der derzeit an der New Yorker Universität
lehrt. Der ehemalige Erzfeind England wurde erst durch die europäischen
Monarchien und das Papsttum ersetzt. In den Zwanziger und Dreißigerjahren
bildeten sich dann die selben Verschwörungsfeindbilder
heraus wie in vielen Ländern Europas. Wesentliches trug dazu der Ku-Klux-Klan
bei, der um 1920 drei bis vier Millionen Mitglieder hatte.
Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist auch der Erfolg der
"One Nation Party" von Pauline Hanson in
Australien, die Beziehungen zur amerikanischen Miliz-Bewegung unterhält. Anfang
Juni 1998 gewann sie in Quennsland-Australien 23 %
der Stimmen. Diese Miliz-Bewegung in den USA, deren Verbindungen bis in die
Büros konservativer Demagogen wie Pat Buchanan und Newt Gingrich reichen, ist
schwer bewaffnet und versucht einen Staat im Staat aufzubauen. Eigene
Radiosender, die auch außerhalb der USA empfangen werden können, sind in Form
von Amerikas beliebtesten Radiosendungen, den sogenannten Talk-Radios, das
Propagandamittel Nummer Eins der Milizen, und auch per Internet erreicht die
Propaganda der rechtsextremen Milizionäre das ganze Land und die ganze Welt.
Nachdem den USA der Erzfeind UdSSR abhanden gekommen
war, brauchten viele Amerikaner einen neuen Feind, um weiterhin jemanden als
Bedrohung darstellen zu können. Während Hollywood den Verlust des "Reiches
des Bösen", wie Ronald Reagan die Sowjetunion nannte, mit der Produktion
von Science-Fiction-Filmen mit außerirdischen Bedrohungen auszugleichen
versucht, wollten andere realere Opfer innerhalb Amerikas finden. Das spiegelt
sich heute vor allem in der feindlichen Haltung vieler US-Bürger gegenüber der
Zentralregierung in Washington wider. Vor allem in rechtsextremen Zirkeln gilt
das Federal Government als von Illuminaten, Juden, Kommunisten und sogar
Außerirdischen unterwandert. Wieder einmal heißt das Feindbild "Neue
Weltordnung". Seit Beginn der Neunziger Jahre wettern die amerikanischen
Milizen, zu denen Zigtausende schwerbewaffnete Fanatiker gehören, gegen
schärfere Waffengesetze, mit denen die US-Regierung die hohe Gewaltrate senken
wollte. Bob Flecher, der Führer der "Montana
Militia" spricht davon, daß die USA von
ausländischen Multis aufgekauft und unterwandert werden, die das amerikanische
Volk versklaven wollen. Überall sehe man bereits die "schwarze(n)
Helikopter" (der UNO), die zur Armee der Verschwörer gehören.
Eine Folge dieser neuesten Verschwörungstheorie war der Anschlag
auf das Verwaltungsgebäude in Oklahoma City, bei dem 167 Menschen getötet
wurden. Timothy Mc Veigh,
der Attentäter, gehörte zu einer Miliz, welche die Neue Weltordnung verhindern
wollte. Dieses Beispiel belegt ebenso wie der Tod von Millionenen
Juden, Männern, Frauen und Kindern, die von den Nazis wegen ihrer
Weltverschwörungsgedanken ermordet wurden, daß
derartige Theorien zunächst harmlos zu sein scheinen, jedoch zu weitaus weniger
harmlosen Folgen führen können. Die Zahl der Amerikaner, die sich vor dem
Hintergrund solcher Ideen auf den nächsten amerikanischen Bürgerkrieg
vorbereiten, wird derzeit auf hunderttausend geschätzt und die geschätzte Zahl
jener, die an eine Verschwörung der Regierung gegen das Volk glauben, liegt bei
zwölf Millionen!
In seinem 1998 erschienenen Buch "Le mythe
du complot permanent", vermerkte Oliver Dard, Professor für Geschichte und Politik in Paris, zur
Verschwörungsthese:
"Ob Freimaurer, Juden, Finanzleute, Kommunisten, Nazis, die
Jesuiten, Protestanten, Bilderberger, Trilaterale Kommission, Russen oder
Chinesen, Weltverschwörungstheorien wird es immer geben, denn es handelt sich
um die Angst vor dem Unbekannten und der Tatsache, Erklärungen für nicht
Willkommenes finden zu wollen; somit haben wir das Komplott ohne Ende..."le temps n’aurait guere d‘ epaisseur mais l’histoire aurait un sens, celui du complot permanent". Die Manipulationsfunktion von
"Verschwörungstheorien" ermöglicht es, durch eine spezielle Form der
Desinformation einen Konsensus für bestimmte Einstimmungen und Handlungen zu
erzielen."32 Kommt es dann tatsächlich zu einer Verschwörung, ist der
Schuldige leicht gefunden, weil die "Paranoia-Haltung", die
"Mentalität der heimlichen Hand", der Konspirationismus,
anderen Ismen ähnelt, insofern er nämlich eine Einstellung definiert, die
absolut alles einbezieht".33 Die Einstellungen und Handlungen, gegen die
sich die propagierte, angebliche Verschwörung jedoch tatsächlich richtet, sind
die Einstellungen und Handlungen des herrschenden Systems, das sich in einer
Umbruchssituation befindet. Dieser Umbruch betrifft im Zeitalter der
Globalisierung nicht mehr nur einen Staat, ein Volk oder eine Zivilisation,
sondern die ganze Welt. Deshalb wundert es nicht, daß
sich die Verschwörungszenarien, wenn auch unter
Beibehaltung aller bisherigen Stereotypen zunehmend auf die galaktische Ebene
zu verschieben beginnen. Der neue "Krieg der Welten" ist – in den
Augen der Verchwörungsgläubigen – bereits
angebrochen, aber der Erzfeind blieb der gleiche – "das Böse",
welches das Fremde und Unbekannte in all seinen bisherigen Stereotypen
verkörpert. Es wird gegen "das Gute", das Vertraute und Bekannte bis
in alle Ewigkeit kämpfen müssen, soferne diese
Schwarz-Weiß-Malerie unserer komplexen Welt nicht
doch eines Tages durch eine "Aufklärung" überwunden werden kann, die
bislang noch nicht wirklich stattfand.
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July 7, 2003