Verschwörungstheorie und Nazi-UFO's - Part 3

Angesichts der Popularität der Veschwörungsthesen im 19. Jahrhundert wundert es nicht, daß sie auch auf die Außenpolitik übergriffen. Der Kreis polnischer, antirussischer Emigranten in Paris fabrizierte ein "Testament Peter des Großen", dessen Zweck es war, die französische Öffentlichkeit und die Regierung Frankreichs gegen Rußland zu beeinflussen. Dieses "Testament" hatte eine außerordentliche Wirkung.

Der polnische General Michel Sokolnicki, einer jener Polen, die 1795 in der Hoffnung nach Frankreich geflohen waren, von dort aus ihr Vaterland wieder zurück zu erobern, überreichte sein "Apercu sur la russie" dem Directoire. Frankreich, so hieß es darin, sei die einzige Macht, die Europa vor der russischen Gefahr retten könne. deshalb sei es für seine Staatsmänner wichtig, den Plan zu kennen, den Rußland verfolge, um Europa zu versklaven. Seine polnischen Freunde, so Sokolnicki, hätten nach der Eroberung der russischen Archive in Warschau im April 1794 einen kurzen Blick in den "einzigartigen, von Peter I. entworfenen Plan, Europa zu unterjochen" werfen können. Er wolle diesen wiedergeben, so gut sein Gedächtnis die Berichte seiner Freunde bewahrt habe. Damit war die Verschwörungstheorie in eine neue Phase eingetreten, denn dabei handelt es sich um die erste bekannte Konspirationstheorie, die eine regelrechte Fälschung und Manipulation in dem Sinne ist, daß ihre Autoren selbst nicht an die russische Verschwörung zur Unterwerfung Eruopas glaubten.

Selbst Karl Marx trat in die Fußstapfen Barruels, denn er war nicht nur von der Echtheit des "Testaments Peters des Großen" überzeugt, auch von der Tatsache, daß Palmerston, der damalige englische Premierminister, von den Russen bestochen sei. Marx wollte diese von dem englischen Nahostspezialisten David Urquhart übernommene These durch eine Dokumentation erhärten, die er aus den Archiven des British Museum zusammenstellte. Sein Streifzug in das Gebiet der Diplomatiegeschichte ließ ihn die "Entdeckung" machen, daß die Zusammenarbeit zwischen Rußland und England, bzw. die Beeinflussung der englischen Politik durch Rußland aus der Zeit Peters I. stammte. Damit war der Zusammenhang mit dessen "Testament" hergestellt und eine neue Konspirationstheorie geboren. Das Ergebnis von Marx‘ Aktenstudium erschien 1856 unter dem Titel "Revelations on the Diplomatic History of the 18th Century" in den von David Urquhart herausgegebenen Zeitungen, in denen Marx auch seine Artikel aus den Jahren 1853 und 1854 über Palmerston wieder abdrucken ließ.

Die Konspirationstheorien bezogen sich demnach auf vier Menschengruppen: Juden (an die 15 Millionen), Freimaurer (5 Millionen), Briten (60 Millionen), und Amerikaner (260 Millionen). Insgesamt machen diese vier Gruppen an die 6 Prozent der Weltbevölkerung aus, so daß 94 Prozent verbleiben, die nicht als Verschwörer in Frage kamen. Von besonderem Interesse unter den "Nichtverschwörern" ist, daß sich darunter drei der Großmächte befinden, die zwischen 1618 und 1991 versuchten Europa zu beherrschen. Die extreme Linke und die extreme Rechte, universalistische Religionen und die gesamte nichtwestliche Welt.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts beschränkte sich die Furcht vor einer weltweiten Konspiration hauptsächlich auf die Geheimgesellschaften und erst zu dieser Zeit tauchen zwei neue Feindbilder auf, die den Geheimgesellschaften schließlich den Rang abliefen: Antiimperialismus und Antisemitismus. Was mit einem ausschließlichen Blick auf Freimaurer und andere private Gruppierungen begann, inkludierte im Lauf der Zeit auch öffentliche Institutionen. Diese Veränderung führte nicht nur dazu, daß die Linke voll in das Konspirationsdenken mit einbezogen wurde, auch die Rechte, zu einem späteren Zeitpunkt (denken wir beispielsweise an die amerikanischen Bürgermilizen).

Die Konspirationstheorie, der die Gründung der Sowjetunion zugrundelag, besagte, daß der durch die englische und amerikanische Regierung bewirkte Kapitalismus das größte Hindernis für den Wohlstand der Menschheit sei. Diese Theorie wurde zum wesentlichen Element der vorherrschenden Ideologie vieler anderer kommunistischer Staaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg an die Macht kamen. Obwohl die Sowjetunion diese Konspirationstheorie von ihren Anfängen bis zu ihrer weiten Verbreitung förderte, kam es dennoch im Lauf der Zeit zu verschiedenen Veränderungen; der Antisemetismus wuchs stärker, Zynismus ersetzte Überzeugung, und in den späten Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts tauchte leicht abgewandelt Israel als jüdisches Feindbild auf, das die lokalen Juden verdrängte, während Washington London ablöste.

Weil die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien und die Erfindung von Sündenböcken in Krisenzeiten sprunghaft zunimmt, wird auch verständlich, weshalb ihr in Deutschland nach 1918 eine neue Aktualität zukam. Von besonderer Relevanz für das Echo derartiger Theorien und für die Bündnispolitik der völkischen Bewegung gegenüber christlich-konservativen Kreisen war das 1919 erschienene und 1920 erweiterte Buch "Entente -Freimaurerei und Weltkrieg" des Schweizers Karl Heise. Auch er griff auf die Illumininaten-Verschwörung des 18. Jahrhunderts zurück und bestätigte einen inneren Zusammenhang zwischen Loge, Großkapitalismus und Bolschewismus. In seinem erstmals 1919 publizierten und 1925 bereits in 6. Auflage vorliegendem Werk "Weltfreimaurerei, Weltrevolution, Weltenrepublik" unternahm Friedrich Wichtl eine Situationsanalyse nach dem Muster der Komplott-Theorie. Heinrich Himmler, damals neunzehnjährig, vermerkte nach der Lektüre dieses Buches in seinem Tagebuch: "Ein Buch, das über alles aufklärt und uns sagt, gegen wen wir zu kämpfen haben."

Als wesentlicher Faktor in der Verschwörungstheorie war seit der Zunahme des Antisemitismus im ausgehenden 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert das Judentum hinzugekommen. Dabei griff man auf ältere Vorstellungen zurück, wie Freimaurer und Juden hätten einander gegen Deutschland verschworen, den Ersten Weltkrieg angezettelt, und Deutschland sei durch ein freimaurerisches Friedesdiktatprogramm ruiniert worden. Das war in etwa die Kurzformel der Beschuldigung. Die Ludendorff’sche Variante der Verschwörungsthese besagte, daß der Jesuite als "Finanzmagnat mit dem jüdischen Volk eng vereint" ist. Ludendorff, der zunächst Hitler unterstützte, stand dem im Exil lebenden deutschen Kaiser und den Monarchisten sehr nahe.

Kaiser Wilhelm II., dem Ludendorff seine antifreimaurerischen Pamphlete nach Doorn sandte, tröstete sich damit, daß er lediglich den diabolischen Machenschaften der Freimaurer den Verlust seines Thrones verdankte. Einer seiner Äußerungen vom 5. Februar 1930 zufolge gibt es vom "christlichen Standpunkt" aus kein "souveränes Volk", vielmehr sei dieses die "Formel der von Freimaurern inszenierten Französischen Revolution." Die Tatsache, daß der Kaiser, der 1932 einen nationalsozialistischen Staatsstreich herbeisehnte und anfänglich über die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten "begeistert" war, schon wenige Wochen später glaubte, vor dem "Nazi-Staat" warnen zu müssen, weil dieser nicht an eine monarchistische Restauration dachte, ist ein schlagendes Beispiel dafür, in wie kurzsichtiger Weise konservative und monarchistische Gegner der Weimarer Republik den Nationalsozialisten in die Hände arbeiteten. Sie taten es, weil sie mit den Nationalsozialisten in wesentlichen Punkten grundsätzlich übereinstimmten, nämlich in der Ablehnung des als "jüdisch-freimaurerisch" abqualifizierten Gleichheitsprinzips, d.h. der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, sowie von Liberalismus und Sozialismus.

Erich und Mathilde Ludendorff verbreiteten ihre Vorstellungen nicht nur durch Publikationen. In größeren Städten wurden eigene "Ludendorff-Buchhandlungen" eingerichtet. Auch Vortragsreisen unterstützten die Propagierung des Verschwörungsmythos. Bei derartigen Vorstellungen gelang es den Ludendorff’s, Säle mit weit über tausend Personen zu füllen. Das alles dürfte einen gewichtigen Anteil an den relativ hohen Auflagezahlen ihrer Schriften gehabt haben. Schon vor Ende 1927 wurde für das Buch "Vernichtung der Freimaurerei" die Zahl 1000.000 überschritten, insgesamt erreichte es eine Auflage von 180.000 Stück. "Kriegshetze und Völkermorden" wurde in 70.000, und die anderen größeren Veröffentlichungen beider Ludendorff’s in jeweils an die 50.000 Exemplaren aufgelegt. Dennoch war die allgemeine öffentliche Reaktion auf diese antifreimaurerischen Publikationen eher negativ. Die renomierte Presse lehnte sie scharf ab. Beispielsweise schrieb die "Kölnische Zeitung" über "Vernichtung der Freimaurerei": die Schrift gehöre "auf den Speicher der Makulatur als ein Gemengsel von Unkenntnis, Urteilslosigkeit, Anmaßung und vorgefaßter Meinung, das sich als der Weisheit letzter Schluß gebärdet". In der Tat nahm das öffentliche Ansehen, das der ehemalige General durch die ihm zugeschriebenen militärischen Leistungen erworben hatte, stark ab. Selbst in völkischen Kreisen isolierten sich die Ludendorff’s immer mehr, wie das Verhältnis zur aufkommenden NSDAP deutlich zeigte. Seine antichristliche Haltung brachte Ludendorff sogar in Gegensatz zu den katholischen Freimaurer-Gegnern. Etwa bezeichnete der schon erwähnte Hermann Gruber Ludendorff’s Werk als "das Nonplusultra des blödsinnigsten Schwindels". Von dieser Einschätzung her, kann jedoch nicht auf eine Wirkungslosigkeit der Schriften Ludendorff’s geschlossen werden, Sein Buch "Vernichtung der Freimaurerei" erreichte zwischen 1918 und 1945 die höchste Auflagenzahl antifreimaurerischer Schriften.

Allen Verschwörungslegenden zum Trotz bestanden die Freimaurelogen im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert keineswegs aus Juden. Ganz gegenteilig wurden Juden trotz des mauerischen Toleranzprinzpis eher selten in die Logen aufgenommen. Vor 1789 durften sie überhaupt nur in sogenannten Winkellogen Mitglied werden. Erst sehr spät, im 19. Jahrhundert, wurde der sechszackige Davidstern, der manchmal mit dem Symbol der Freimaurer aus dem 17./18. Jahrhundert in Verbindung gebracht wird, zum Symbol des Judentums. Bis dahin hatte man ihm diesbezüglich keine besondere Bedeutung beigemessen. Als eines von vielen Symbolen war er auch in anderen Kulturen weit verbreitet. Der Historiker Norman Cohn bezeichnet die Fraumaurerei und auch die Illuminate sogar als "im Großen und Ganzen judenfeindlich". Dennoch betrachtete man die Juden immer mehr als Urheber, Förderer und Nutznießer revolutionärer Veränderungen in Frankreich und Amerika. Am Beginn der Entstehung dieses modernen Mythos stand ein Brief von Hauptmann Jean-Baptiste Simonini an Abbe Barruel.

In diesem Brief, der in Wahrheit von der französischen Geheimpolizei unter Fouche stammte, wird Barruel darauf hingewiesen, daß er in seinen "denkwürdigen" Schriften die "jüdische Sekte" nicht berücksichtigt habe. Weiters ist in ihm zu lesen, daß Simonini sich in jüdischen Kreisen als Jude ausgegeben habe, wonach ihm die Juden Gold und Silber gezeigt hätte, das zur Verwendung für ihre politischen Umsturzpläne bestimmt sei. Damit nicht genug. Der Brief datiert den Beginn der Verschwörung sogar vor die Zeit der Templer und behauptet, daß Freimaurer und Juden schon seit vielen Jahren gemeinsame Sache machten. Im 3. Jahrhundert, heißt es es, sei der Perser Mani, der Begründer des Manichäismus, und vom 11. bis zum 13. Jahrhundert der geheimnisvolle "Alte vom Berge", der Führer der Assassinen-Sekte, Juden gewesen. Juden hätten auch die Freimaurerei und den Illuminatismus begründet und auch die Geistlichkeit Europas sei bereits jüdisch unterwandert. Das Ziel der Juden sei die Unterwerfung und Versklavung des Christentums.

Hier fügte sich der christliche Antijudaismus mit allen Stereotypen, wie sie seit Jahrhunderten überliefert wurden und in den Menschen bewußt oder unbewußt gefestigt wurden, nahtlos in das sich herausbildende neue Feindbildkonzept der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung ein. Der sich auch auf die Französische Revlution beziehende Simonini-Brief ist ein Fixpunkt in einer Reihe ähnlicher Hetzschriften, die den gezielt produzierten Ersatzmythos ankurbelten. In dieser Tradition fabrizierte man später auch die Protokolle der Weisen von Zion, eine Fälschung der antisemitischen zaristischen Geheimpolizei, die in viele Sprachen übersetzt wurde. Obwohl die Protokolle durch H.B.Itto als Fälschung entlavt wurden ("Die Protokolle der Weisen von Zion – Anatomie einer Fälschung"), tauchten sie immer wieder in diversen Schriften auf.

Bei diesem künstlich kreierten Mythos geht es um ein Treffen, bei dem Juden beschlossen, eine Weltregierung einzurichten, deren eigentliche Drahtzieher sie selbst sind. Diese Weltregierung wird mit den Freimaurern gleichgesetzt, die als Denkorganistation der jüdischen Verschwörung dargestellt sind. Rosenberg, der sie in Thule-Kreisen zirkulieren ließ, veröffentlichte die Protokolle 1923.

 

Die Nazi-Theorie von der Weltverschwörung und der Hitlerische Esoterismus der Nachkriegszeit

Im Hinterzimmer eines prominenten Buchladens wurde mir 1989 ein Video mit dem Titel "UFO - das Dritte Reich schlägt zurück" gezeigt. Es wurde mir damals klar, daß hiermit eine Unterwanderung der Esoterikszene begonnen hatte, wobei die Worte des von mir in diesem Zusammenhang aufgesuchten Wilhelm Landig, er hätte seine Thule-Trilogie im "Auftrag" seiner "Vorgesetzten" geschrieben, an Bedeutung gewannen. Ebenso zeigten Dokumente vom CIA, die ich in den USA durch einen Bekannten zur Ansicht bekam, daß schon am Ende des 2. Weltkrieges das "UFO-Nazi-Geheimwaffenthema" vom Nazi-Geheimdienst als Desinformationsmittel benutzt wurde.

Weshalb gerade die Esoterikszene für eine derartige Agitation von Interesse ist, zeigt sich an in Deutschland durchgeführten Studien. Seit 1980 war die Zahl der an Esoterik Interessierten von etwa fünf auf gegenwärtig rund fünfzig Prozent gestiegen und laut einer FORSA-Umfrage sind 93 Prozent der Deutschen an geheimnisvollen, wissenschaftlich nicht erklärbaren Dingen interessiert.

Es gibt kaum einen Faden des völkischen Okkultismus, der nicht über Wien führte oder von Wien ausging. Die abrupten Veränderungen, welche die Hauptstadt der K. und K.-Monarchie in der zweiten Hälte des 19. Jahrhunderts erfuhr, bildeten den Nährboden für Pangermanismus, Antisemitismus und Esoterik. Die ersten Regungen des slawischen Nationalismus unterminierten die als selbstverständlich betrachtete Vorherrschaft der deutschen Sprache und Kultur im Kaiserreich. Immer neue Generationen osteuropäischer Einwanderer ließen sich in den Wiener Vorstädten nieder. Zwischen 1860 und 1900 verdreifachte sich die Einwohnerzahl Wiens nahezu und die ländlichen Vororte wurden zu proletarischen Elendsvierteln. Hitler war schockiert vom Kontrast zwischen dem äußeren, ethnisch gemischten, proletarischen, und dem inneren monarchistischen Wien – "Strahlender Reichtum und abstoßende Armut lösten einander in schroffem Wechsel ab."

Die Verunsicherung durch das Fremde verführt dazu, die eigene Identität durch den Rückgriff auf die Rasse zu stärken. Die gemeinsame Abstammung soll gegenüber der Herausforderung durch das Andere absichern und die eigene Unsicherheit wird auf das Ideal der Rassenreinheit zu einer Zeit projiziert, als die Völker angeblich noch nicht wanderten und sich noch nicht vermischten. Lange Zeit hatte die Abgeschlossenheit antisemitischer und esoterischer Zirkel, wie Z.B. die Guido-von-List-Gesellschaft, der Neutemplerorden und der Germanen-Orden, eine größere Außenwirkung auf das kaiserliche Österreich verhindert, das wegen der konservativen Macht von Herrscherhaus und Katholischer Kirche hinter der raschen kapitalistischen Entwicklung anderer europäischer Länder zurückgeblieben war. Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers war der Anlaß für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, auf desen Schlachtfeldern auch der Glanz der Monarchie zu Grabe getragen wurde. Die Kriegsniederlage von 1918 löste den völkischen Okkultismus aus der Abgeschiedenheit seiner Zirkel, machte den Pangermanismus zu einer politischen Kraft, und politisierte den Antisemitismus, der nun nicht mehr, gemäß dem Kraus’schen Diktum ziellos nach einem Ursprung strebte, sondern sich ein konkretes Ziel setzen konnte – den Anschluß Österreichs an das deutsche Reich und die Vernichtung der Juden.

Wilhelm Landig, geboren am 20. Dezember 1909 in Wien, war einer der frühen österreichischen Anhänger Hitlers und anfangs der profilierteste Vertreter der nationalsozialistischen Esoterik im deutschsprachigen Raum. Er gehörte zu einem Mittelschul-Freikorps und erhielt unter Kapitänleutnant Krüger, der 1920 als Kompaniekommandant des Freikorps Erhard am Kapp-Putsch in Berlin teilnahm, eine militärische Ausbildung in der Umgebung Wiens. Nachdem die österreichische NSDAP 1933 verboten wurde, war er ein "Illegaler", der wegen seiner Beteiligung am gescheiterten Putschversuch der Nationalsozialisten im Juli 1934 ins deutsche Reich fliehen mußte, wo er als "illegaler" Österreicher in hohem Ansehen stand und der SS beitrat. Landig gehörte zum Sicherheitsdienst (SD) der SS. Weil seine Freikorpszeit als militärische Tätigkeit anerkannt wurde, war er auch Mitglied der Waffen-SS. Er wurde am Arbeitswissenschaftlichen Institut in Berlin angestellt, das der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unterstand. Unmittelbar nach dem "Anschluß" Österreichs kam er, bereits eine Woche bevor sich die SS in Wien einrichtete, mit einer Sondergenehmigung des Reichsführers-SS Heinrich Himmler in die österreichische Hauptstadt, wo er Sachbearbeiter des SD für geheime Reichssachen wurde und eine Abteilung leitete, die aus ihm selbst und zwei Untergebenen bestand. Seine SS-Zugehörigkeit und seine Bekanntschaft mit Himmler erlaubten ihm, sich direkt, an Schirach vorbei, mit Berlin in Verbindung zu setzen.

Nach Landig‘s Darstellung gehörten zu seinem Aufgabenbereich in Wien die Koordination der Produktion von Flugscheiben, über die er nur andeutungsweise spricht. In seinen später geschriebenen Büchern spielen sie als HAUNEBU- Flugscheiben, die tief ins All flogen, eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang erwähnt Landig SS-Standartenführer Schäfers Expedition nach Tibet, die esoterischen Zwecken gedient haben soll. Das esoterische Wissen, so Landig, sollte auf die reale Technik angewandt werden. Aber er war nicht nur für die rätselhaften Flugscheiben verantwortlich, auch für die Kriegsspionage. In den besetzten Balkanländern kämpfte er gegen Partisanen. Als er 1944 verwundet wurde, kam er ins Kriegslazarett in Belgrad, von wo aus er nach Wien zurückkehrte und in der Abteilung I (Inland) der SD arbeitete. Nach der Kriegsniederlage des Dritten Reiches wurde er im September 1945 "erwischt" und "nachdem er unbehelligt "600 U-Boote in Gang gesetzt hatte, "durch einen Leichtsinn", wie er bitter feststellte, von den Briten verhaftet.

Nach 1945 gehörte Landig einigen nationalsozialistischen Organisationen an, wie dem Verband der Unabhängigen (VdU, einer Vorgängerorganisation von Jörg Haider’s FPÖ) und der "Demokratisch-nationalen Arbeiterparetei" (DNAP). Der Wiener Tradition der Zirkelbildung treu bleibend, betätigte er sich in Kleingruppen wie der "Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik" (AFP). Die AFP gibt die Monatspostille "Kommentare zum Zeitgeschehen" heraus, die auch von bundesdeutschen Rechtsextremisten gelesen wird. In diesen Zirkeln, nach nationalsozialistischer Terminologie "Freundeskreise" genannt, genießt Landig die Verehrung eines Meisters. Ab 1955 gab er die Europa-Korrespondenz heraus und gründete den Volkstum-Verlag, in dem er seine eigenen und andere einschlägige Bücher verlegte. Wie er sagte, durfte er sein Geheimdienstwissen nicht preisgeben, weshalb er "sich hinter der Romanform versteckt(e)". Aber in seiner Trilogie "Götzen gegen Thule", "Wolfszeit um Thule" und "Rebellen für Thule" berichtete er über "wirkliche Ereignisse". Der rote Faden der insgesamt 1850 Seiten langen Trilogie sind die Wunderwaffen (Flugscheiben und ebenfalls esoterisch angetriebene U-Boote), sowie das Weiterbestehen des Deutschen Reiches in Verstecken der Antarktis und den Anden.

 

Die Thule-Gesellschaft und der "Endkampf um die Erde"

Die Thule-Gesellschaft, aus der später die NSDAP entstand, wurde 1918 als Fassadenorganisation des gegen Ende des Ersten Weltkrieges in Verruch geratenen Germanen-Ordens gegründet. Ein späteres Video, "UFO-Geheimnisse des Dritten Reiches", das deutlich auf die wichtigsten Elemente der Thule-Tradition zurückgreift, handelt von der Vril-Gesellschaft, Sebottendorff, einer Jenseitsflugmaschine und von Viktor Schauberger, der durch Rückgriff auf das Wissen der Templer den Levitation-Tachioantrieb erfand. "Die Thule", besagt das Video, schuf "innerhalb der SS die Geheimgesellschaft "Die schwarze Sonne". Die Rechte an diesem Video liegen bei der (inzwischen umbenannten) Wiener Tempelhofgesellschaft, der "Societas Templi Marcionis", STM, einer Geheimgesellschaft, die ein Zentrum in Hamburg hat und eine Nachfolgeorganisation des ONT von Lanz von Liebenfels ist, der 1954 in Wien starb. Seine Ideologie entstammte im Wesentlichen dem Kerngehalt des 1912 ins Leben gerufenen Germanen-Ordens, der sich ab 1918 in Thule-Gesellschaft umbenannte. Bonder nennt ihn in seinem Buch "Der Mann" als denjenigen, "der Hitler die Ideen gab". Im Nachspann des Videos heißt es u.a.: "Esoterische Beratung: Freie Autorengemeinschaft der Lichtmedien", Drehbuch Jürgen-Ratthofer, Ralf Ettl, und als Archivquellen sind genannt: Der Templer-Orden in Wien, sowie als Berater Wilhelm Landig. Ettl arbeitete auch an dessen drittem Thule-Buch mit.

Folgt man den Ausführungen von Jürgen-Ratthofer und Ettl, stellte die "Vril-Gesellschaft" zunächst nur einen besonderen Zweig der Thule-Gesellschaft dar, der jedoch im Lauf der Zeit immer selbständiger wurde und besonders esoterische Studien pflegte, die mit einer möglichen technischen Anwendung verknüpft waren. 1934 sei es dann den Wissenschaftlern und Ingenieuren der "Vril-Gesellschaft" gelungen, ein erstes flügelloses Rundflugzeug (die Flugscheibe) zu konstruieren, dessen Antrieb auf elektromagnetischer Rotation beruhte. Bis ins Jahr 1945 sei es dieser Wissenschaftergruppe möglich gewesen, die Flugscheiben immer weiter zu verbessern und noch leistungsstärkere Typen zu entwickeln, die in den Dienst des "Dritten Reiches" gestellt wurden. U.a. hätten sie die Errichtung deutscher militärischer Geheimbasen auf dem Mond und dem Mars ermöglicht. Wer nicht weiß, wie die dokumentarischen Abschnitte, die gespielten Szenen und die Interviews mit UFO-Sehern voneinander zu unterscheiden sind, wird dieses Machwerk als Dokumentation annehmen.

Die Darstellung der beiden Autoren beschränkt sich jedoch keinesfalls auf technische und militärgeschichtliche Fragen in Zusammenhang mit dem "Dritten Reich" und dem Zweiten Weltkrieg. Vielmehr wird behauptet, daß die grundlegenden Kenntnisse, welche der "Vril-Gesellschaft" ihre gewaltigen technischen Erfolge ermöglichten, auf jahrhunderten-, wenn nicht jahrtausendealten esoterischen Überlieferungen beruhen, die den Gründern der Gesellschaft 1917/18 von einer weitaus geheimnisvolleren Gruppierung übermittelt worden wären – vom Orden der "Herren vom Schwarzen Stein". Dabei handelt es sich um einen angeblich in Bayern die Jahrhunderte überdauernden Zweig der von Mythen umrankten mittelalterlichen Tempelritter. Aber auch deren Informationen seien noch nicht der Ursprung gewesen, denn auch die Templer hätten ihr weitreichendes Wissen aus noch wesentlich älteren Quellen geschöpft. Der eigentliche Ursprung sei zunächst ins Zweistromland, in die Reiche von Sumer und Babylon zurückzuverfolgen und von dort aus auf den fernen Planeten Aldebaran im Tierkreiszeichen Stier. Dessen Bewohner seien die Urahnen sowohl der Sumerer, wie auch der Germanen.

Aus fernster Vergangenheit und an die vielfältigen Vermutung über einen außerirdischen Ursprung der Menschheit anknüpfend, schlagen die Autoren den Bogen zur nahen Zukunft. Denn die mit Vril-Kraft angetriebene und von einem Raumschiff der Vril-Gesellschaft herbeigerufene aldebaranische Raumflotte befände sich bereits im Anflug auf die Erde, wo sie in Kürze eintreffen werde, um ihren Verbündeten, den teilweise in innerirdischen Basen ausharrenden Hütern der sumerisch-templerischen Vril-Tradition, im Kampf gegen die Siegermächte des Zweiten Weltrkrieges zu Hilfe zu eilen. Dieser Aspekt wird in einen späteren, 1993 erschienenen Broschüre Jürgen-Ratthofers mit dem dramatisch-reißerischen Titel "Demnächst‚ Endkampf um die Erde?‘ weiter ausgeführt.

 

Südamerika und die Entstehung des Hitlerischen Esoterismus

Der Schauplatz, auf dem sich die Thule-Mythologie nach dem Ende der Hitlerdiktatur weiter entwickelte, war das südliche Lateinamerika. In Buenos Aires und Santiago wurde der völkische Okkultismus, der in Wien und München seinen Ausgang nahm, zu einer nicht mehr an eine bestimmte Rasse gebundene Ersatzreligion umgeformt. Das war nicht zuletzt dank der Organisation ehemaliger SS-Angehöriger (ODESSA) möglich, einer gegen Ende des zweiten Weltkrieges eingerichteten Fluchtorganisation der SS. Bekanntester Fluchtweg war die "Rattenlinie" mit dem Angelpunkt Rom. Die ODESSA bestand bis in die Sechziger Jahre hinein und hielt Treffen vor allem in Paraguay, Chile, Brasilien und Argentinien ab, wo sich Kolonien geflohener Nationalsozialisten bildeten. Über Bolivien schreibt Ernesto Mila: "Wir konnten uns persönlich davon überzeugen, daß es gegenwärtig in Bolivien eine Vereinigung gibt", innerhalb derer ein innerer Zirkel esoterischen Charakters besteht, der die Namen Loge des schwarzen Condor oder Thule-Loge trägt. Die Mitglieder dieses "inneren Zirkels" hängen einer Lehre an, in die einzudringen uns nicht vergönnt war; wir wissen jedoch, daß ein großer Teil ihrer Praktiken sich um die "astrale" Projektion und andere okkultistische Varianten derselben Art dreht. "Wir haben davon abgesehen, diese Tätigkeiten zu evaluieren, aber wir konnten feststellen, daß ein guter Teil des höheren bolivianischen Offizierkorps zu besagter Loge gehört." Der Autor bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Ernst Röhm‘s Bolivienaufenthalt 1929-1930, auf den die Logen zurückgehen. Auch "Barbie" gründete gemeinsam mit alten, geflüchteten Nationalsozialisten und faschistischen Militärs einen "Thule-Orden in Südamerika.

In diese Länder reiste auch Landig, dessen Bedeutung nicht nur in seinen literarischen Produktionen lag, auch wenn diese unter Nationalsozialisten und Neonationalsozialisten recht bekannt sind. Er bereiste fast alle Länder der Erde, finanziert wurden seine Reisen, wie er sagte von "einer amerikanische(n) Ölgesellschaft". Landig waren nach 1945 viele Nationalsozialisten bekannt und er organisierte unermüdlich Treffen und beteiligte sich an verbotenen Aktivitäten. Er arbeitete mit Juan Maler zusammen und beherbergte Miguel Serrano und Savitri Devi, die u.a. zu den Begründern des esoterischen Hitlerismus der Nachkriegszeit gehört.

Savatri Devi, wie sich eine 1905 in Lyon geborene Anglogriechin nach ihrer Heirat mit einem Inder nannte, fühlte sich einer "kleinen Minderheit nichtdeutscher Arier" zugehörig. Ihre Studien über die Arier betrieb sie, durch den Krieg von Europa abgeschnitten in Indien. Nach dem Krieg ging Devi nach Deutschland, wo sie im westfälischen Werl wegen natonalsozialistischer Propaganda zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Sie nutzte sie dazu, ihr Buch "Gold im Schmelztiegel", das erste Werk des esoterischen Hitlerismus zu schreiben. 1982 starb sie in England ohne, wie es ihr sehnlicher Wunsch war, "von einem Neger oder Juden erschossen" worden zu sein. Auch in interessierten Kreisen ist Savitri Devi kaum bekannt, obwohl Christophersens Nordwind-Verlag nach wie vor ihr Buch vertreibt. Es blieb Miguel Serrano vorbehalten, den esoterischen Hitlerismus auch im deutschen Sprachraum bekannt zu machen.

Serrano wurde 1917 in Santiago geboren. Auf der Suche nach Hitler, an dessen Tod er nicht glauben wollte, bereiste er 1947 und 1948 die Antarktis. Er war Chilenischer Botschafter in Indien (1953-1962) und Jugoslawien (1962-1964) und von 1964 bis 1970 Botschafter in Österreich, wo er in Wien im Kontakt mit esoterischen Zirkeln stand, zu denen auch Wilhelm Landig gehörte. Nachdem er durch den Regierungsantritt des chilenischen Präsidenten Allende seines Amtes enthoben wurde, widmete sich Serrano in Österreich "der Untersuchung des esoterischen Hitlerismus in Europa." In Madrid traf er Otto Skorzeny. Zwei Wochen nach dem Militärputsch in Chile am 11. September 1973 kehrte Serrano in seine Heimat zurück und erreichte eine Audienz bei den vier Generälen der Militärjunta.

Serrano’s frühe Erzählung "Die Suche nach der verborgenen Blume" beschreibt Chile als das für die Wiederkunft einer besseren Rasse auserwählte Land. In dieser Erzählung ist er Teilnehmer eines Orden ähnlichen Zirkels. Nach seiner Darstellung kämpfte die SS während der nationalsozialistischen Herrschaft nicht gegen Menschen, sondern gegen "Wesenheiten oder Gottheiten". Ähnlich wie de Mahieu, der 1972 ein dreibändiges Werk über Aufstieg und Fall eines Wikingerreiches im präkolumbianischen Lateinamerika schrieb, spricht Serrano von einem geheimnisvollen Riesengeschlecht in den Anden, von denen heute noch einige leben sollen. Auch er zitiert den okkulten inneren Zirkel innerhalb der SS, den "Schwarzen Orden", der einen "metaphysischen Sieg" errungen habe. Nach Serrano’s Auffassung befindet sich der "Führer" heute in der Antarktis, denn Hitler habe am 30. April 1945 nicht Selbstmord begangen, sondern sei von einem atomar betriebenen U-Boot gerettet worden.

Die Ursprünge des esoterischen Rechtsextremismus gehen ebenso wie das letzte Mittel der Durchhaltepropaganda, die Legenden von den Nazi-Wunderwaffen, bis zu den okkulten Lehren der Thule-Gesellschaft zurück. Wilhelm Landig, der kürzlich verstarb, stellte Thules Wanderung nach Lateinamerika literarisch dar und berichtete voller Stolz, daß seine Bücher in der Siedlung von Colonia Dignidad aufliegen.

Diese in Südchile gelegene deutsche Siedlung wurde 1961 von einer deutschen Sekte mit esoterischem Einschlag gegründet. Sie besitzt zahlreiche Verbindungen zu lateinamerikanischen und europäischen Nationalsozialisten und diente nach dem Militärputsch von 1973 der chilenischen Geheimpolizei DANN als Folterlager. Nachdem die Beweise für die Folter auf dem Gelände der Kolonie immer handfester wurden, begann sich die Siedlung mit Hilfe eines "Freundeskreises" zu wehren, zu dem viele Personen der chilenischen und der deutschen äußersten Rechten und Faschisten gehörten. In seinen Werken verteidigt Juan Maler die Kolonie, von der er auch viele nicht publizierte Einzelheiten kennt. Als im Februar 1991 die demokratisch gewählte chilenische Regierung per Dekret der Colonia Dignidad die juristische Person und damit den Status einer gemeinnützigen Körperschaft entzog, reagierte der Freundeskreis mit "Schmerzenserwachen", das weit länger als ein Jahr im Freien abgehalten wurde und einen deutlich esoterisch-rituellen Charakter besaß.

Die Thule-Tradition wird in Chile auf mehreren landwirtschaftlichen Gütern gepflegt, aber davon dringt kaum etwas nach außen. Offenbar handelt es sich um einen Zirkel, dessen innerster Kern streng abgeschirmt wird und nur die äußeren Zirkel arbeiten etwas offener. In seinem programmatischen Buch mit dem Titel "El circulo hermetico" (wörtlich "Der hermetische Zirkel) beschrieb Serrano dieses Organisationstyp in dichterischer Form. In Kreisen des chilenischen Militärs, vor allem unter den deutschstämmigen Offizieren ist "Thule", das sagenhafte nordische Reich einer weißen, hyperboreischen und arischen Ahnenschaft ein Begriff. Westlichen Esoterikern war es Ende des 19. Jahrhunderts von der Mitbegründerin der Theosophischen Gesellschaft, H.P. Blavatksy in ihrer "Geheimlehre" präsentiert worden. Als 1978 die Spannungen zwischen Chile und Argentinien fast zum Krieg führten, kursierte in diesen Kreisen ein "Plan Germania" (Plan Germanien), nach dem das militärisch schwächere Chile in einer Art Blitzkrieg argentinische Flüsse vergiften, Argentinien erobern und mit einem Teil Brasiliens zu einem einzigen Land vereinen sollte, dessen Hauptstadt Santiago gewesen wäre. Als Kolonisatoren in Argentinien waren Chilenische Reservisten vorgesehen. So verworren das auch klingen mag, gibt es dennoch einen Bezug zur damaligen Kriegsplanung des von Großmachtvorstellungen besessenen chilenischen Geheimdienstes DINA. Ihr lag der Gedanke einer rassischen Überlegenheit der Chilenen gegenüber ihren "degenerierten" Nachbarn zugrunde, die durch Einwanderung und Mischung mit der indianischen Bevölkerung entstanden.

Worauf der Neuimpuls der Thule-Mythologisierung in der Nachkriegszeit zurückzuführen ist, deutete Landig an, der mir gegenüber Zitate aus den in den frühen Sechziger Jahren erschienenen Büchern von Charoux verwendete, um manche seiner Theorien zu beweisen. Auch Erwähnungen von "Nazis und das Okkulte" in Pauwel’s und Bergier’s Buch "Morgenröte der Magier" scheint Landig der Beweisführung seiner Theorien zugrundegelegt zu haben. Pauwels/Bergier bezogen sich auf einen Artikel des deutschen Raumfahrtwissenschafters Willy Ley aus den USA, in dem auch die Vril-Gesellschaft genannt wird. Diesem Artikel stand in den Siebzigerjahren eine Flut von Büchern über die Beziehung zwischen den Nazis und dem Okkulten gegenüber. Daraus ging der Bestseller von Trevor Ravenscraft, "Der Speer des Schicksals" hervor. Wurden Informationen Charroux und Bergier bewußt in die Hand gespielt? Das ist eine für Geheimdienste typische Vorgehensweise, die sogar kurzfristig Pressedienste oder Zeitungen ins Leben rufen, um gewisse Informationen zu kreieren, die von Ahnungslosen aufgegriffen und in die ganze Welt getragen werden.

 

Die Vril-Gesellschaft, Flugscheiben und UFO’s

Ihrem Ursprung nach stellte die Vril-Geschichte zunächst die Verarbeitung alter Überlieferungen und Legenden durch einen viktorianischen Literaten und Esoteriker dar. Lord Edward Bulver-Lytton gelang es in einmaliger Weise, Erkenntnisse der traditionellen Alchimie, Lehren des Rosenkreuzertrums, die Sagen und Berichte um bewohnte Hohlräume im Erdinneren, Mesmer’s und Reichenbach’s Erkenntnisse um den Magnetismus, sowie viele andere, von der offiziellen Wissenschaft kaum beachtete oder sogar verachtete Quellen zu einem visionären Ganzen zu verbinden und daraus eine zukunftsweisende energetische Konzeption zu entwickeln. Die moderne und bis heute in vielfältigen Formen weiter blühende Fassung der Legende stellt die sich an Bulwer-Lytton‘s Konzeption anlehnenden "Vril-Gesellschaft" dar, deren vermutete Macht und mögliche Bedeutung in den Jahren des "Dritten Reiches".

Als Ausgangspunkt dieses modernen Mythos läßt sich unschwer ein Text identifizieren, den Willy Ley 1947 in "Astounding Science Fiction" veröffentlichte. Der von Bulwer-Lytton im vorigen Jahrhundert selbst angesprochene Vergleich mit Mesmer und Reichenbach zeigt auf, daß sich der Autor von "The Coming Race" mit seiner Theorie des Vril im Rahmen seinerzeit gängiger grenzwissenschaftlicher Diskussionen bewegte. Gleichzeitig griff er, wie auch Mesmer auf ältere Konzeptionen, etwa von Paracelsus und Kircher zurück. Dasselbe tat Reichbach, ohne sich allerdings so stark wie Mesmer zu esponieren. Nach späteren Angaben von Bulver-Lytton fanden zwischen ihm und Eliphas Levi in Paris oder Nizza Begegnungen statt. Ein Brief von Levi soll auch in seiner Biblithek vorliegen. Er enthält Hinweise, die von besonderem Interesse sind, will man jene geistigen Einflüsse erkunden, die bei der Herausbildung der energetischen Konzeption des "Vril" in "The Coming Race" eine Rolle spielten. Wie Bulwer-Lyttons Sohn mitteilt, sei in dem Schreiben "von der Existenz einer Universalkraft und der Art ihrer Anwendung die Rede." Tatsächlich hatte Levi im Rahmen seiner weitgespannten esoterisch-magischen Studien eine eigene Theorie des "Astrallichtes" geschaffen, die an die älteren Vorstellungen des "siderischen Lichtes" von Paracelsus anknüpfte.

Der Begründer der "Raumkraft"- oder "Urkraft"-Theorie war Karl Schappeller. Seine Berliner Epigonen in der "Reichsarbeitsgemeinschaft ‚Das kommende Deutschland‘ deuteten sie unter Einbeziehung von Ansätzen Bulwer-Lyttons und Elementen des alchimistischen Denkens als "Vril-Energie" und propagierten sie öffentlich. Mit ihnen steht Landig, der spätere Schloßherr, ein pensionierter Postmeister aus Aurolzmünster, am Anfang der Legendenbildung um eine mächtige geheime Gesellschaft, die während dem Ende des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Geschicke des gesamten mitteleuropäischen Raumes lenkte - der "Vril-Gesellschaft". Diese Legendenbildung reicht von Schappeller’s Ideen über die Reichsarbeitsgemeinschaft und eine Darstellung von Willy Ley, die in dem amerikanischen Magazin "Astounding Science Fiction" erschien, bis zum Aufgreifen von dessen Anmerkungen durch Pauwels/Bergier, wonach es zu immer phantastischeren Ausschmückungen kam. Anhänger des Schrappeller‘schen Konzeptes mögen sich, unter Umständen unabhängig von ihrem "Meister" und eventuell sogar nach einem Zerwürfnis mit ihm als "Reichsarbeitsgemeinschaft ‚Das kommende Deutschland‘ konstituiert haben und mehr oder weniger "auf eigene Rechnung" mit der Propagierung der entsprechenden Reformideen begonnen haben. Die Einbeziehung von Bulwer-Lyttons "Vril"-Begriff, der in der 1928 erschienenen "Raumkraft"-Broschüre noch völlig fehlt, und bestimmter Bilder aus der alchimistischen Tradition können vor dem Hintergrund einer derartigen Annahme als Versuch angesehen werden, die technischen Vorstellungen Schappeller’s stärker in einen ganzheitlich-esoterischen Kontext zu integrieren und damit gedanklich weiterzuführen.

Daß sogenannte "Flugscheiben" oder "Flugkreisel" während des Krieges von Technikern und Ingenieuren wie Schriever, Habermohl, Miethe, Bellonzo und Epp im Rahmen wehrtechnischer Forschungen konstruiert und auch praktisch erprobt wurden, steht inzwischen außer Zweifel. Sie wurden in zahlreichen Büchern und Aufsätzen, die auch in durchaus seriösen Fachpublikationen erschienen, sogar teilweise unter Angabe der jeweiligen Konstruktionspläne dargestellt. Inzwischen schrieb Mark Birdsall unter Verwendung englischer Geheimdienstquellen ein Buch über die V-7, oder zeigte Harald Fäth in seinem im August 1999 erschienen Buch "Geheime Kommandosache" auf, daß die Nazis am Endes des Zweiten Weltkrieges mehrere Atombomben in Produktion hatten. Vom Prinzip her handelte es sich dabei um flügellose Flugzeuge und damit um eine sehr reale technische Möglichkeit, die bis in die Gegenwart aktuell ist. Die bekannt gewordenen Modelle dieser Flugscheiben besaßen allerdings so gut wie ausschließlich einen Düsenantrieb mit herkömmlichem Treibstoff. Sie benutzten also die von Schappeller und der Reichsarbeitsgemeinschaft so vehement verurteilte Verbrennungs-, Explosions- bzw. "Schieß"-Technik und keinesfalls die "dynamische Technik" des "Schließens".

Eine gewisse Ausnahme in dieser Hinsicht stellten lediglich die während des Krieges vom österreichischen Forscher und Erfinder Viktor Schauberger (1885-1958) entwickelten Flugapparate dar. Auf ausdrücklichen Befehl Himmlers hatte Schauberger, der dem NS-System eigentlich innerlich fernstand, 1943, zunächst in der SS-Ingenierschule in Wien-Rosenhügel und danach im Konzentrationslager Mauthausen mit der Konstruktion solcher Geräte begonnen. Bei seinen vorhergehenden jahrzehntelangen Forschungen hatte der gelernte Forstmeister bestimmte Prinzipien der Bewegungskraft entwickelt, die sich - analog zur den Vorstellungen von einer "dynamischen Technik" bei der Reichsarbeitsgemeinschaft – an den Abläufen in der Natur orientierten.

Diese ideengeschichtliche und literarische Brücke verbindet den kleinen oberösterreichischen Marktflecken Aurolzmünster in gewisser Weise mit Landig’s Thule-Trilogie und dem fernen, von Jürgen Ratthofer und Ettl hervorgehobenen Planeten Aldebaran. Aber Landig und andere Thule-Leute sprachen auch über einen "Weltenkampf", der zur Zeit stattfindet. Die Gegner in diesem Weltenkampf sind die Weltbrüderschaft aller Logen mit Sitz in Chicago. Die dem "Head of all true Freemasons" unterstehenden Logen sind "Hilfstruppen des Berges Zion", der den Gegenpol des nordischen Mitternachtsberges bildet. "Unter vielfach profanen Tarnungen" kämpfen sie für das Ziel des "One World Governments". Aber diese freimaurerische Verschwörung, (die man sich immerhin noch als Geheimtreffen von Banken und Politikern in Hinterzimmern vorstellen kann) ist lediglich ein Werkzeug des nur noch übersinnlich erfaßbaren Judentums.

 

Die Weltverschwörungstheorie der Neonazis - Freimaurer, Juden, die UNO und Außerirdische

In letzten Drittel des 20. Jahrhunderts griff die neue Thule-Mythologie dieses Motiv wieder auf. Nun wird die angestrebte Weltregierung mit den Vereinten Nationen gleichgesetzt. Als Blaupause für die spätere Eine-Welt-Verschwörungstheorie dienten die Protokolle der Weisen von Zion. In dieser Fälschung gibt es eine leicht zu ortende, enthüllende Fälschung, die darin besteht, daß in einer englischsprachigen Ausgabe der Protokolle eine Passage über die Weltregierung mit dem handschriftlich in die Druckfahnen eingefügten Zusatz versehen ist, "d.h. U.N.".

"Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert", das erste Buch des unter dem Pseudonym Jan van Helsing schreibenden Jan Udo Holey erschien im November 1993 in dem auf kuriose Esoterik spezialisierten Ewert-Verlag. Sein Erscheinen begleitete eine massive Inseratenkampagne in esoterischen Zeitschriften. 1995 folgte das zweite Buch "die Geheimgesellschaften 2", und 1996 kam das dritte Buch mit dem Titel "Der dritte Weltkrieg" auf den Markt, gefolgt 1997 von "Unternehmen Aldebaran. Kontakte mit Menschen aus einem anderen Sonnensystem", und im März 1998 vom bislang neuesten Werk "Die innere Welt" (Ama Deus Verlag). In ihm geht es um Außerirdische, die den Deutschen im zweiten Weltkrieg halfen, ihre Ufo-Flugscheiben zu bauen und auch die Theorie von der hohlen Welt und von "friedliche(n) Gruppen von Deutschen", die im Inneren der Erde wohnen, sind Themen dieses Buches.

Holey‘s erstes Buch wurde mit über hunderttausend verkauften Exemplaren und Übersetzungen ins Englische und Französische ein Bestseller sowohl in der esoterischen wie auch der rechtsextremen Szene. Damit gelang Jan van Helsing der wohl bedeutendste Coup des Rechtsextremismus nach 1945. Das zweite Buch stellt den Höhepunkt an antisemitischen Ergüssen dar, während das dritte im Vergleich dazu das relativ harmloseste ist. Weil Helsing dadurch eine Breitenwirksamkeit erreichte, die anderen rechtsextremen Esoterikthemen, wie der neuheidnischen Germanenmythologie, dem Runenkult und vornazistischen Lehren versagt blieben, wollen wir im Folgenden im Lichte unserer bisherigen Untersuchung näher auf diese Literatur eingehen.

Der Weltraum-Rassismus Helsing‘s erinnert frappant an die abenteuerlichen "Rassen"-Ideen völkischer Gruppen der Zwischenkriegszeit, wie den Ostara-Kreis um den oben genannten Lanz von Liebenfels, der schon damals den dunklen "Tschandalen-Rassen" und Juden mit Begriffen aus Technik und Elektrizität den arischen Gottmenschen gegenüberstellte. Noch deutlicher wird Hesing 1997 in seinem Unternehmen Aldebaran: Nicht nur, daß hier die Weltverschwörungstheorien als selbstverständliches Allgemeinwissen vorausgesetzt werden und der Nazi-Ufo-Glaube breitgetreten wird, Helsing stellt auch klar, daß die negativen Außerirdischen mit den USA und die "menschlich aussehenden" Aliens mit Deutschen und Schweizern zusammenarbeiten. In ferner Vergangenheit, so Helsing, gab es eine "Herrenrasse" und eine "Sklavenrasse", die er "Tschandalas" nennt. Lanz, Mitbegründer der Ariosophie, nannte "mischrassige Tiermenschen" Tschandalen. Bei Helsing fanden Vermischungen zwischen Herrenrasse und Sklavenrasse statt, wobei natürlich die Deutschen den guten Aliens aus Aldebaren, den Arier-Aliens "noch am ähnlichsten geblieben" sind, weil sie sich noch am "unvermischtesten" erhalten hätten. Die Hintermänner der "geheimen Weltregierung" sind die Illuminaten, ursprüngliche Sklaven, nun aber die "Köpfe der Tschandalas". Ähnliche Themen findet man übrigens auch bei den höheren OT-Graden der Scientologen.

Der Kontakt mit den guten Aliens, den Aldebaranern, bescherte Hitlerdeutschland auch das technologische Know-how der Sternenbrüder. Mit ihrer Hilfte reisten Nazis zu den Planeten der Sonne Aldebaran und auch der Mond ist seit dieser Zeit fest in deutscher Hand. In dieser Science-Fiction-Story befanden sich die Nazi-Ufos im Salzkammergut unter dem Mondsee und in der Alpenfestung. Mit ihrer Hilfe schuf Hitler weltweit geheime Kolonien, unter anderem die reichsdeutsche Konie "Colonia Dignidad", die Helsing als Teil des neuen Lichtreiches betrachtet. Aufgeklärte Kritiker bezeichen die Colonia Dignidad als airiergläubige Psychosekte und wie eingangs ausgeführt als Folterschule des faschistischen Piochet-Regimes in Chile!

Bei seinen Kontakten mit Aliens, schwärmt Helsing, handelte es sich um besonders schöne, blonde und blauäugige Exemplare der Spezies Arier, die entweder "fließend deutsch oder eine andere Sprache mit deutschem Akzent" sprachen. In geheimen Basen stehen heute drei Millionen "Reichsdeutsche" bereit – wenige Seiten später spricht er gar von sechs Millionen, um gemeinsam mit den Heerscharen der Aldebaraner und Arriannis und deren 22.000 Ufo’s die Illuminaten in die Flucht zu jagen. Dagegen werde auch das amerikanische SDI-Programm, das zur Abwehr der Hitler-Armada gegründet worden sei, nichts ausrichten können.

Die Ähnlichkeit zwischen den Buchinhalten von Helsing und Ettl, Ratthofer, Landig, den Armanen, der ONT und den Thule-Leuten ist offensichtlich. Alles in allem ähnelt der Weltverschwörungsboom der Dreißigerjahre im deutschen Sprachraum in erstaunlichem Maße der 1993 durch Jan van Helsing ausgelösten Modewelle. Das ist beispielsweise ganz im Sinne der Strategie der französischen "Neuen Rechten" von 1968, die über esoterische Organisationen Macht erzielen möchte und ihren politischen Hintergrund erst allmählich denen enthüllt, die dafür als aufnahmebereit angesehen werden. Es muß daher damit gerechnet werden, daß sich eine (auch politisch) organisierte Helsing-Bewegung formiert, die vermutlich relativ leicht für rechtsextreme Ziele auch außerhalb Europas eingesetzt werden könnte.

Eines der Kennzeichen der Verschwörungstheorien ist, daß es sich dabei um ein internationales Phänomen handelt, das in allen Regimen, sowohl in diktatorischen als auch in demokratischen Ländern Fuß fassen kann. Etwa verwenden die Araber wie die Nationalsozialisten die Protokolle der Weisen von Zion "als Verbindungsglied zwischen den ‚kapitalistischen Juden‘ des Westens und den ‚kommunistischen Juden‘ des Ostens. König Faisal von Saudiarabien und Nasser von Ägypten betrachteten Zionismus und Kommunismus als die "zwei Seiten derselben Medaille". 1977 behauptete der Moskauer Arabistik-Dozent Valeri Emelianow "die Vereinigten Staaten befanden sich in der Gewalt einer zionistisch-freimaurerischen Regierung unter Führung von Präsident Carter, und dieser selbst sei eine Marionette der B’nai-B’rith-"Gestapo", die eine weltumspannende Spionageorganisation betreibe". Andere Publizisten sahen das "zionistische Freimaurertum" als Drahtzieher hinter den westlichen Menschenrechtskampagnen", zu deren zionistisch-kapitalistischer Weltverschwörung auch die Bilderberger und Wirtschaftskonzerne gehörten. In rechtsextremen sowjetischen Offizierskreisen, im Lager der "Neuen Rechten" innerhalb der KpdSU, und bei faschistischen russischen Dissidentenkreisen um die Samisdat-Zeitschrift Veche galt die Legende von der jüdischen Weltverschwörung als offizielle Lehrmeinung, an die deutsche und amerikanische Neonazis nahtlos anknüpfen konnten.

Nach allem vorausgegangenem sollte es klar sein, daß die sich gleichenden Verschwörungstheorien austauschbar und nach Belieben einsetzbar sind. So entwickelte man in Japan den "Glauben an eine globale jüdische Verschwörung mit dem Ziel Japan zu zerstören". Die Attacke auf China im Jahr 1937 wurde teilweise durch den Kampf gegen diese jüdische Verschwörung gerechtfertigt, während man die Konfrontation mit den Vereinten Staaten als Kampf gegen die jüdische "Hegemonie" in diesem Land darstellte. 1941 hielt ein japanischer Schriftsteller fest: "Der Grad, bis zu dem Länder einen demokratischen Charakter bewahren, entspricht genau dem Grad, bis zu dem sie von Juden beherrscht werden." Gegen Ende des Krieges war der westliche Import Antisemetismus in Japan so weit gediehen, daß führende Zeitungen die Kapitulation Italiens gegenüber den Allierten als jüdisches Komplott interpretierten. Einige kehrten sogar die Geschichte um und sahen in der Expedition des Kommandanten Perry eine jüdische Invasion Japans. Verallgemeinernd wurden Juden als Marionetten von Stalin, Chinag Kai-Shek, Roosevelt und Churchill, sowie der christlichen Religion angesehen, aber nicht damit zufrieden, westliche Theorien zu wiederholen, erfanden die Japaner auch neue. Beispielsweise präsentierten sie die Juden als Doppelgänger der Japaner:

Kein anderes Land besitzt eine nähere Verwandtschaft zu den Juden als Japan. Diese Verwandtschaft läßt sich bis in die prähistorische Zeit zurückführen... Was heute Judaismus genannt wird ist tatsächlich das Zerrbild einer von jüdischen Priestern, die sich als Satanischer Gott Yahweh verkleideten, dem Sumerischen Sonnengott und anderen Göttern aufgezwungenen Religion.....Was als jüdische Kultur bekannt ist, entwickelte sich auf diabolische Weise als Ausdruck des Zerrbildes der Kultur der japanischen Sonnengöttin.

Nach dem Krieg verlor die Theorie um eine jüdische Verschwörung in Japan an Bedeutung. Als es Jahrzehnte später darum ging, die japanische Identität zu definieren, gewann sie wiederum an Boden. Am auffallendsten wird das anhand des 1971 erschienenen Buches "The Japanese and the Jews" sichtbar. Gleichzeitig drückt sich in ihm die Angst vor den Vereinten Staaten aus. Mitte der Achtzigerjahre brach dann der Antisemetismus in Japan auf beunruhigende Weise aus. In zweien seiner Bücher machte Masami Uno (1986) für die wirtschaftliche Rezession Juden verantwortlich, die praktisch alle amerikanischen Unternehmen führten. Er prognostizierte die Weltherrschaft durch eine jüdische Diktatur beginnend mit dem dritten Tempel in Jerusalem. Außerdem argumentierte er, daß das Zweiparteiensystem der japanischen Demokratie Teil eines jüdischen Komplotts wäre, dessen Ziel es sei, Japan zu zerstören. Von seinen Büchern verkaufte er über eine Million Exemplare. Im Jänner 1995 veröffentlichte dann die Kultgruppe Aum Shinri Kyo ein absurdes Traktat, in dem Japans Nachkriegsgeschichte als Folge der jüdischen Dominierung des Landes dargestellt wird. Um diese monströse Kraft zu bekämpfen, erklärte Aum Shinri Kyo, daß sie "der Schattenregierung der Welt, die eine ungezählte Anzahl von Menschen mordet, formal den Krieg erklärt". Nur zwei Monate später, als die Gruppe einen Giftgasanschlag verübte, wählte sie dafür die U-Bahn in Tokio aus, weil sie das Zentrum der Stadt als das "jüdische" Herz des Landes betrachtete. Dank logistischer Fehler wurden mehrere Tausend Menschen nur verletzt und nicht getötet. Aber das hätte sehr leicht der Fall sein können.

Auch in Indien, dessen Schicksal so lange Zeit von Großbritannien dominiert wurde, besteht nach wie vor eine große Angst vor einer westlichen Verschwörung. In einer typischen Behauptung spricht der Exsprecher der Versammlung der Uttar Pradesh von "einer internationalen Verschwörung zur Schaffung von Unstabilität" in Indien, indem Gelder in verschiedene fundamentalistische religiöse Gruppierungen fließen, die das Land nach lokalen Kastenbräuchen aufsplittern und dadurch "das Fundament des weltlichen Indien erschüttern". Nicht zuletzt ist das Verschwörungsdenken auch in den Vereinten Staaten seit der amerikanischen Revolution vor 200 Jahren weit verbreitet. Das stellte der deutsche Politikwissenschafter Claus Leggewic fest, der derzeit an der New Yorker Universität lehrt. Der ehemalige Erzfeind England wurde erst durch die europäischen Monarchien und das Papsttum ersetzt. In den Zwanziger und Dreißigerjahren bildeten sich dann die selben Verschwörungsfeindbilder heraus wie in vielen Ländern Europas. Wesentliches trug dazu der Ku-Klux-Klan bei, der um 1920 drei bis vier Millionen Mitglieder hatte.

Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist auch der Erfolg der "One Nation Party" von Pauline Hanson in Australien, die Beziehungen zur amerikanischen Miliz-Bewegung unterhält. Anfang Juni 1998 gewann sie in Quennsland-Australien 23 % der Stimmen. Diese Miliz-Bewegung in den USA, deren Verbindungen bis in die Büros konservativer Demagogen wie Pat Buchanan und Newt Gingrich reichen, ist schwer bewaffnet und versucht einen Staat im Staat aufzubauen. Eigene Radiosender, die auch außerhalb der USA empfangen werden können, sind in Form von Amerikas beliebtesten Radiosendungen, den sogenannten Talk-Radios, das Propagandamittel Nummer Eins der Milizen, und auch per Internet erreicht die Propaganda der rechtsextremen Milizionäre das ganze Land und die ganze Welt. Nachdem den USA der Erzfeind UdSSR abhanden gekommen war, brauchten viele Amerikaner einen neuen Feind, um weiterhin jemanden als Bedrohung darstellen zu können. Während Hollywood den Verlust des "Reiches des Bösen", wie Ronald Reagan die Sowjetunion nannte, mit der Produktion von Science-Fiction-Filmen mit außerirdischen Bedrohungen auszugleichen versucht, wollten andere realere Opfer innerhalb Amerikas finden. Das spiegelt sich heute vor allem in der feindlichen Haltung vieler US-Bürger gegenüber der Zentralregierung in Washington wider. Vor allem in rechtsextremen Zirkeln gilt das Federal Government als von Illuminaten, Juden, Kommunisten und sogar Außerirdischen unterwandert. Wieder einmal heißt das Feindbild "Neue Weltordnung". Seit Beginn der Neunziger Jahre wettern die amerikanischen Milizen, zu denen Zigtausende schwerbewaffnete Fanatiker gehören, gegen schärfere Waffengesetze, mit denen die US-Regierung die hohe Gewaltrate senken wollte. Bob Flecher, der Führer der "Montana Militia" spricht davon, daß die USA von ausländischen Multis aufgekauft und unterwandert werden, die das amerikanische Volk versklaven wollen. Überall sehe man bereits die "schwarze(n) Helikopter" (der UNO), die zur Armee der Verschwörer gehören.

Eine Folge dieser neuesten Verschwörungstheorie war der Anschlag auf das Verwaltungsgebäude in Oklahoma City, bei dem 167 Menschen getötet wurden. Timothy Mc Veigh, der Attentäter, gehörte zu einer Miliz, welche die Neue Weltordnung verhindern wollte. Dieses Beispiel belegt ebenso wie der Tod von Millionenen Juden, Männern, Frauen und Kindern, die von den Nazis wegen ihrer Weltverschwörungsgedanken ermordet wurden, daß derartige Theorien zunächst harmlos zu sein scheinen, jedoch zu weitaus weniger harmlosen Folgen führen können. Die Zahl der Amerikaner, die sich vor dem Hintergrund solcher Ideen auf den nächsten amerikanischen Bürgerkrieg vorbereiten, wird derzeit auf hunderttausend geschätzt und die geschätzte Zahl jener, die an eine Verschwörung der Regierung gegen das Volk glauben, liegt bei zwölf Millionen!

In seinem 1998 erschienenen Buch "Le mythe du complot permanent", vermerkte Oliver Dard, Professor für Geschichte und Politik in Paris, zur Verschwörungsthese:

"Ob Freimaurer, Juden, Finanzleute, Kommunisten, Nazis, die Jesuiten, Protestanten, Bilderberger, Trilaterale Kommission, Russen oder Chinesen, Weltverschwörungstheorien wird es immer geben, denn es handelt sich um die Angst vor dem Unbekannten und der Tatsache, Erklärungen für nicht Willkommenes finden zu wollen; somit haben wir das Komplott ohne Ende..."le temps n’aurait guere d‘ epaisseur mais l’histoire aurait un sens, celui du complot permanent". Die Manipulationsfunktion von "Verschwörungstheorien" ermöglicht es, durch eine spezielle Form der Desinformation einen Konsensus für bestimmte Einstimmungen und Handlungen zu erzielen."32 Kommt es dann tatsächlich zu einer Verschwörung, ist der Schuldige leicht gefunden, weil die "Paranoia-Haltung", die "Mentalität der heimlichen Hand", der Konspirationismus, anderen Ismen ähnelt, insofern er nämlich eine Einstellung definiert, die absolut alles einbezieht".33 Die Einstellungen und Handlungen, gegen die sich die propagierte, angebliche Verschwörung jedoch tatsächlich richtet, sind die Einstellungen und Handlungen des herrschenden Systems, das sich in einer Umbruchssituation befindet. Dieser Umbruch betrifft im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr nur einen Staat, ein Volk oder eine Zivilisation, sondern die ganze Welt. Deshalb wundert es nicht, daß sich die Verschwörungszenarien, wenn auch unter Beibehaltung aller bisherigen Stereotypen zunehmend auf die galaktische Ebene zu verschieben beginnen. Der neue "Krieg der Welten" ist – in den Augen der Verchwörungsgläubigen – bereits angebrochen, aber der Erzfeind blieb der gleiche – "das Böse", welches das Fremde und Unbekannte in all seinen bisherigen Stereotypen verkörpert. Es wird gegen "das Gute", das Vertraute und Bekannte bis in alle Ewigkeit kämpfen müssen, soferne diese Schwarz-Weiß-Malerie unserer komplexen Welt nicht doch eines Tages durch eine "Aufklärung" überwunden werden kann, die bislang noch nicht wirklich stattfand.

 

 

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July 7, 2003

 

 

 

 

 

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