Bonn, August 3,
2003: Neo-Templars, P.2
Weitaus ehrgeiziger als die Strikte Observanz, die nur einige
der alten Templerprovinzen hatte rekonstruieren wollen, zielte der neue Templerorden
darauf ab, die ganze Erde (mit der einzigen Ausnahme von Ozeanien) zu erobern.
Die Vikare des Großmeisters nannten sich Generalstatthalter von Europa, Asien,
Afrika und Amerika, wobei diese Kontinente noch jeweils in einen Nord- und
einen Südteil geschieden wurden, die theoretisch je einem Großpräzeptor
unterstanden. Jedem Staat bzw. jeder »Zunge« des Ordens sollte ein Großprior
vorstehen und jeder Ballei eines Großpriorats ein Regent. Schließlich bildeten
eine oder mehrere Städte einer Ballei eine Komturei, deren Oberhaupt die
Aufsicht über die Konvente, die Häuser der Postulanten und die der Einweihung
innerhalb seines Gebietes innehatte.
Um dieses Riesenreich zu regieren, waren in den Statuten ein
gewaltiger Generalstab sowie zahlreiche Verwaltungsorgane vorgesehen. Die vier
Generalstatthalter etwa versammelten sich in einem »Privaten Rat« um den
Großmeister. Der »Magistratsrat« wiederum umfaßte 20 Mitglieder: die vier
Vikare, den Ersten Präzeptor und die acht Großpräzeptoren, den Primas des Ordens
und seine vier Koadjutoren, ferner den Großseneschall und den
Magistratssekretär. Zur »Präzeptoralkurie«gehörten die Präzeptoren, der
Großseneschall, der Magistratssekretär, der Großkonnetabel, der Adjutant des
Großmeisters, der Großadmiral, der Generalgroßprior, der Großalmosenier, der
Großkanzler, der Großschatzmeister und der Generalintendant aller Botschaften.
Die »Synodalversammlung« setzte sich aus den Vertretern der Geistlichkeit
zusammen - dem Primas, den Generalkoadjutoren und den Magistratslegaten. Den
»Gesetzgebenden Versammlungen« gehörten die Mitglieder des Magistratsrates an
sowie die Großgrafen (die 25 Konsistorialgrafen), ferner die acht Pfalzgrafen
und die 73 Nationalgrafen.
Die jeweiligen Aufgaben dieser Institutionen waren sehr präzis
bestimmt. So schlug z.B. die »Präzeptorialkurie« dem Großmeister drei
Kandidaten vor, sobald ein Vikariat zu besetzen war, sie überwachte ferner die
Einhaltung aller Regeln und sie spielte für die Grafen sowohl die Rolle eines
Appelations- und Kassationsgerichtshofes als auch die einer Disziplinarkammer.
Die Gesetzgebenden Versammlungen bestimmten den Umfang der Beiträge, bewachten
die Ausgaben und beschlossen die Einrichtung neuer Konvente, Abteien,
Komtureien und Balleien. Ein Großrat, der lediglich im Fall des Todes oder der
Abdankung des Großmeisters zusammentrat, bestimmte einen Regenten, der bis zur
Wahl eines neuen Großmeisters durch einen Allgemeinen Konvent interimistisch
regierte.
Die protokollarischen Formeln der alten Strikten Observanz
waren die Einfachheit und Bescheidenheit selbst gewesen, vergleicht man sie mit
denen der neuen Templer. Der Großmeister wurde folgendermaßen angesprochen:
»Eure Erhabenste Hoheit, Hochedler und Mächtiger Fürst, Durchlauchtigster Herr,
Heiliger Vater und Pontifex, Heiligster Patriarch«. Die vier Vikare hießen:
»Eure Hoheit, Großer und Hochedler Fürst, Durchlauchtigster Herr und Monsignore
Generalstatthalter«. Mitglieder der Präzeptoralkurie wurden genannt: »Eure
Excellenzen, Große und Illustre Herren, sowie Hochehrwürdige Brüder und
Minister des Ordens«. Der Primas, seine Generalkoadjutoren und die
Magistratslegaten hießen »Heilige Eminenzen, Illustre und Ehrenwerte Herren
sowie Hochehrwürdige Brüder«. Auch die Großgrafen auf der untersten Stufe der
Hierarchie wurden noch als »Illustre und Ehrenwerte Herren und Hochedle Brüder«
bezeichnet.
Die Würdenträger unterzeichneten alle Schriftstücke mit ihren
religiösen, also Ordensnamen, gefolgt von der Bezeichnung ihrer fiktiven
Domäne. Die Komture hatten zweigeteilte Wappen, rechts das Sinnbild der
Hauptstadt ihrer Komturei und links ihr persönliches Emblem oder, falls sie
Bürgerliche waren, das Wappen, das der Orden ihnen zugewiesen hatte.
Schließlich hatte der Orden noch ein besonderes Emblem - das Großkreuz -, das den
Fürsten, Ministern, Magistratslegaten und -gesandten, den Adjutanten und
Äbtissinnen zustand; der Großmeister konnte es aufgrund besonderer Verdienste
auch den männlichen und weiblichen Rittern verleihen.
In den Versammlungen trugen alle Brüder der 3. Klasse die
Gewänder und Insignien ihrer Würde und ihres Grades. Wenn ein Ritter seinen Eid
leistete, trug er einen leinenen Gürtel um seine Hüfte, einen Mantel und ein
Oberkleid aus weißem Wollstoff mit einem roten Ordenskreuz auf der linken
Seite, weißwollene Beinkleider mit Gamaschen aus rot eingefaßtem Wildleder, auf
dem Kopf ein Barett, ebenfalls aus weißrotem Wollstoff mit einer roten Feder,
um die Stirn ein weißes Seidenband mit roten Fransen und dem Ordenskreuz auf
beide Enden gestickt, um den Hals ein rotes Band in weiße Seide gefaßt, an
welchem das besondere Kreuz seines Konvents hing, am Zeigefinger der rechten
Hand einen Ring mit einem Brillantkreuz, in den auf der Innenseite sein
Familien- und sein religiöser Name eingraviert waren, sowie das Datum seines
Eintritts in den Orden. Schließlich trug er vergoldete Sporen, einen
Reitersäbel mit versilbertem kreuzförmigen Griff, der an einem Gürtel aus
grüner Seide hing.
Mantel und Oberkleid der Minister waren gefüttert und mit
Zobelpelz besetzt. Der Primas trug den Ring der Professio und den bischöflichen
Ring an den Fingern, um den Hals die Kette der Grafen, um die Stirn das Band
der Präzeptoren, auf dem Kopf das weiße priesterliche Barett aus einem Geflecht
aus Seide und Gold. Er war mit einem weißwollenem Mantel bekleidet, besetzt mit
Zobel und Hermelinpelz, ertrug Beinkleider aus weißer Seide, goldgeränderte
Stiefel aus rotem Leder und goldene Sporen. Wenn er den Gottesdienst abhielt,
trug er ein leinenes Chorhemd, ein Oberkleid aus goldgeränderter weißer Seide,
eine Mitra aus Goldgewebe, den Bischofsstab und den Rosenkranz. Die Fürsten
trugen einen Mantel und ein Oberkleid mit Hermelinpelz gefüttert und verbrämt,
einen Gürtel mit Goldfransen, einen Hut aus Hermelinpelz mit einem Band, einer
Quaste und drei goldenen Federbüschen, ferner seidene Beinkleider mit Gold
verbrämt, weiße goldgefaßte Stiefel mit roten Absätzen, und der Griff ihres
Schwertes bestand »aus lauterem Gold und war mit Rubinen besetzt«.
Das Kostüm des Großmeisters war von geradezu orientalischer
Pracht. Ebenso gekleidet, gestiefelt und gespornt wie die Fürsten, trug er auf
seinem Barett eine goldene Krone, am rechten Ringfinger den karfunkelbesetzten
Ring des Meisters, und sein Schwert mit dem Goldknauf voller Karfunkel trug er
an einem goldenen Gehänge. Um den Hals trug er zwei Ketten, die erste bestand
aus 81 Stahlgliedern, an ihr hing ein Kreuz aus rotem Email, in dessen Mitte
ein Bildnis Hugo de Payens mit der Losung »Pro Deo et Patria« angebracht war,
während auf der Rückseite das Antlitz Bernard-Raymond Fabre-Palaprats erschien,
zusammen mit der Devise: Ferro non auro se muniunt. Die zweite Halskette hatte
die Form eines Rosenkranzes, sie bestand aus 27 ovalen, rotemaillierten Perlen,
von denen drei Achtergruppen durch größere weiße Perlen mit einem Schwarzen I
und einem roten H voneinander abgesetzt waren, wobei diese Buchstaben von
grünen Palmzweigen umrankt waren. Eine rot-weiße Seidenschnur, die von der
rechten Schulter zur linken Hüfte reichte, trug das Kreuz des Konvents. In der
linken Hand hielt der Großmeister den Bischofsstab, der mit dem Erdball und mit
dem Kreuz des Ordens geschmückt war.
Liest man die Statuten des neuen Templerordens, so gewinnt
man den Eindruck, sie seien von Possenreißern zusammengestellt worden. Die
kindische Freude an aufwendigen Verkleidungen und leeren Ehrentiteln, die ein
Jahrhundert zuvor die Schottischen Grade, die Systeme der »Kaiser des Orients
und des Okzidents« sowie das der »Souveränen Fürsten des Rosenkreuzes«
hervorbrachte, hatte nun jegliches Maß verloren und war ins Lächerliche
abgeglitten. Unfreiwillige Komik fand sich z.B. in dem Artikel der Ordensregel,
in dem in vollem Ernst gefordert wurde, daß der Großbannerträger den
Rittermantel nur dann entfalten dürfe, »wenn der Großmeister (der von Beruf
Hühneraugenoperateur war) persönlich in der Feldschlacht zugegen sei«. Ebenso
fragwürdig waren die Titel eines Großmeisters der Artillerie, eines
Generalkapitäns der Kavallerie, eines Palastgroßmarschalls, eines Großknappen,
eines Oberkammerherrn und eines Obermundschenks; es ist auch schwer
vorstellbar, wie sich ein Arzt und ein Anwalt ohne weiteres als Generalkapitän
der Infanterie und als Galeerenhauptmann oder Galeerengroßmeister qualifizieren
konnten, oder warum ein weiterer Bruder sich nicht genierte, sich als »Komtur
von Sarlat, Primas-Koadjutor der 'Zunge' von Aquitanien, Pontifex der Heiligen
Kirche Christi, Gesandter des Weihbischofs von Frankreich, Minister des Ordens,
Magistratssekretär und Heraldischer Großrichter« zu bezeichnen. Es scheint, als
habe sich die templerische Legende zu jener Zeit aus Altersschwäche darauf
verlegt, es den alten, leichtsinnig gewordenen Damen gleichzutun, die ihre
erschlafften Züge unter dicken Puderschichten verbargen und darauf hofften, daß
eine blonde Perücke, aufwendige Kleidung und schwere Edelsteine doch noch
schmachtende Liebhaber anziehen könnten. Was uns heutzutage als unfaßbar
erscheint, ist die Tatsache, daß diese Rechnug sogar aufging. Sieht man
allerdings genauer hin, so erkennt man unschwer, daß das neue System einfach
diejenigen Elemente noch ein Stück weit ausgebaut hatte, die zuvor den Erfolg
der symbolischen Maurerei und den der verschiedenen Schottischen Lehrarten
garantiert hatten - das waren vor allem die Befriedigung der Neugier der einfältigen
Bürgerlichen sowie die Verlockungen, die man ihrer Phantasie offerierte. Ebenso
wie ein Bürger im Jahre 1730 geschmeichelt war, wenn er in der Loge mit
»Edelmann und Ritter« angesprochen wurde und er ein Schwert tragen durfte, so
waren auch die von Clavel erwähnten 14 rechtschaffenen Einwohner von Troyes,
Pigeotte, Gaillot, Vernollet, Bertrand, Baudot, Grean, Bellegrand etc. mit
Sicherheit stolz und glücklich darüber, daß sie am 24. Oktober 1808 als
Mitglieder der 3. Klasse des Templerordens Adelstitel und »redende Wappen«
erhielten. Speziell für diese Klientel hatte sich das System mit einer solchen
Vielzahl von Würden und Titeln ausgestattet, daß es diese bedenkenlos vergeben
konnte. Von den etwa 205 Mitgliedern, über die die 3. Klasse im Jahre 1810
verfüge, waren 108 von den Großprioraten »in partibus profanorum« mit Ämtern
versehen, und auch alle anderen trugen irgendwelche Ehrentitel.
Dennoch wäre es ein Fehler, Ledru, Fabre-Palaprat und
Konsorten als berechnende Mystifizierer oder als profitgierige Betrüger zu
betrachten, denen es einzig und allein darauf angekommen wäre, sich und den
anderen Großwürdenträgern, den Magistratsvikaren, Großpräzeptoren, Großprioren,
Regenten, Komturen, Abtissinnen und Kommandanten, mit Hilfe der Beiträge und Abgaben
der Brüder gute Einkünfte zu verschaffen. Im Verlauf der Streitgespräche, die
durch die noch zu behandelnden Spaltungen des Ordens hervorgerufen wurden,
tauchte niemals der Vorwurf der Geldgier unter den Beschuldigungen auf, die
sich die oft leidenschaftlichen Gegner an den Kopf warfen. Das Verhalten der
Oberen des Ordens kann man nur dann wirklich verstehen, wenn man das Phänomen
der Autosuggestion in Betracht zieht, denn allein durch diese erlagen sie dem
Bann der Komödie, die sie selbst in Szene gesetzt hatten.
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