P1 The Charta Transmissionis and its Circle of Inventors
Die von den
Alchimisten geschaffene, von der Strikten Observanz verbreitete und von den Wohltätigen
Rittern der Heiligen Stadt modifizierte templerische Legende war so zählebig,
daß sie noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur unter Freimaurern und
unter einigen auf jede Art geheimer Überlieferung neugierigen Schriftstellern
Anhänger fand, sondern auch bei Historikern, deren Werke in hohem Ansehen
standen.
Die Parteigänger der Legende zerfielen in zwei Gruppen, in
diejenigen, die sich darauf beschränkten, die historischen Tempelritter als
Hüter von Geheimwissen orientalischen Ursprungs zu betrachten, und in jene, die
eine direkte Verbindung zwischen dem Templerorden und der Freimaurerei
herstellen wollten.
In Deutschland wurde die These vom esoterischen Charakter des
Templertums von Schlegel in seiner Geschichte der alten und neueren Literatur
vertreten, von der 1829 eine französische Übersetzung erschien. Schlegel
behauptete im Prinzip, daß die epische und mystische Literatur des Mittelalters
das Ideal eines Rittertums spiegele, »so wie man es zu jener Zeit aufgefaßt
habe, als die bedeutendsten religiösen Ritterorden ihre Blütezeit erlebt
hätten«. Ferner sei in dieser Literatur »eine große Anzahl symbolischer
Vorstellungen und Überlieferungen enthalten, die für einige dieser Orden und
insbesondere für die Tempelherren charakteristisch gewesen seien«. Nach
Schlegel dürfe man die zugleich ritterlichen und religiösen Allegorien in
Wolfram von Eschenbachs Parzival und in seinen Liebesliedern, die auf die Sagen
der Ritter von der Tafelrunde zurückgingen, »nicht als Spielereien seiner Phantasie
betrachten, sondern man müsse sie im Gegenteil auf die symbolischen Traditionen
der Templer beziehen«.
Den gleichen Standpunkt vertrat Josef Hammer-Purgstall, in
einer Abhandlung, die 1818 in Wien unter dem Titel Mysterium Baphometi
revelatum erschien; er allerdings beschuldigte die Angehörigen der
Ritterorden, Gnostiker, Ophiten, Abtrünnige, Götzendiener und Verbreiter
unreiner Lehren gewesen zu sein. Auch wenn Sylvester de Sacy 1819 in einer
Gelehrtenzeitschrift gezeigt hatte, daß der berüchtigte Baphomet aller
Wahrscheinlichkeit ein Reliquienkästchen in der Form eines menschlichen Kopfes
gewesen sei, so erneuerte Hammer-Purgstall seine Angriffe 1832 in seiner
»Denkschrift über die beiden gnostischen Kästchen aus dem Kabinett des Herzogs
von Blacas«.
Auch J. Matter, ein Gelehrter, dessen dreibändiges Werk
»Kritische Geschichte des Gnostizismus« die Thematik erschöpfend behandelt,
zählte implizit bestimmte Mitglieder des Templerordens zu den Häretikern, deren
Lehren er untersuchte. 1828 verkündete er es nämlich als gesicherte Erkenntnis,
daß die Templer »ein Götzenbild in ihren Reliquienkästchen aufbewahrten«.
In der zweiten Gruppe der Parteigänger der freimaurerischen
Legende fanden sich sowohl Ordensmitglieder als auch Profane. In seiner
»Geschichte der Kreuzzüge«, die in den Jahren 1811-1822 erschienen war und
1825, 1829 und 1840wieder aufgelegt wurde, hob Michaud die Gemeinsamkeit
bestimmter Ausdrücke und Gebräuche bei den Templern und Freimaurern hervor und
gab zu verstehen, daß diese von jenen abstammen müßten. »Die Templer«, schrieb
er, »deren Orden auch als 'Miliz des Salomonischen Tempels' bezeichnet wurde,
hielten die Zahl Drei in hohen Ehren. Das Oberhaupt des Kapitels, das sich des
Nachts in einer Kirche versammelte, ließ einen Bruder dem Kandidaten dreimal
die Frage vorlegen, ob er tatsächlich in die Salomonische Miliz aufgenommen
werden wollte. Auch alle weiteren Fragen stellte man ihm je dreimal, und er
mußte seinerseits dreimal um Wasser und Brot bitten. Die Ritter mußten ferner
die drei Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams ablegen. Sie
gingen dreimal im Jahr zum Abendmahl, pro Woche wohnten sie dreimal der Messe
bei, und ebenso oft aßen sie Fleisch. Wer seine Pflichten vernachlässigte,
wurde vor versammeltem Kapitel dreimal gegeiselt.«
Marconis de Negre etwa begnügte sich mit der Behauptung, »die
Templer hätten den Orden auch nach seiner offiziellen Auflösung am Leben
erhalten, und er sei ohne Unterbrechung bis in die Gegenwart hinein überliefert
worden«. Bruder Redares hingegen nahm die von Michaud vorgezeichnete
Beweisführung wieder auf, betonte die Ähnlichkeit zwischen den templerischen
und freimaurerischen Erkennungszeichen und schloß daraus, daß die Kreuzfahrer
die Symbolsprache des Orients übernommen hätten, »um mit ihr die politischen
Aussagen ihrer geheimen Statuten zu verbergen«. Dabei könne man diese Aussagen
nur loben, denn sie beinhalteten die Verteidigung der christlichen Religion,
der beide Orden auf jeweils verschiedene Weise verpflichtet seien. Der Weg der Templer
hätte darin bestanden, den Glauben mit der Waffe in der Hand zu verteidigen,
die Freimaurer hingegen »hätten sich, um das Christentum zum Sieg zu führen,
vor allem der Nächstenliebe verschrieben«.
Henri Martin wiederum erklärte in Band 3 seiner Histoire
de France, die trotz kleinerer Schwächen immer noch lesenswert ist,
folgendes: »Im Titurel erlangt die Gralslegende ihre höchste Verklärung,
und zwar unter dem Einfluß von Ideen, die Wolfram wahrscheinlich aus Frankreich
und speziell von den südfranzösischen Templern übernommen hatte... Die
Ritterschaft des Heiligen Gral wird hier zur 'Massenie', einer Gemeinschaft
asketischer Freimaurer, die sich 'Templisten' nannten, woraus sich die
Intention ableiten läßt, den Orden der Templer und die zahlreichen
Bruderschaften von Baumeistern, die damals die Architektur des Mittelalters
erneuern wollten, auf einen gemeinsamen Mittelpunkt, den salomonischen Tempel
zu beziehen... Was als sehr bemerkenswert und als kaum zweifelhaft erscheint,
ist die Tatsache, daß die moderne Freimaurerei sich Schritt für Schritt auf die
'Masse'nie' des Grals zurückverfolgen läßt.«
Zu einer ähnlichen Schlußfolgerung, wenn auch sehr zum
Nachteil der Templer und Freimaurer, kam ein katholischer Autor namens Aroux
mit Hilfe einer recht kühnen Auslegung eines Gedichts von Dante Alighieri. In
diesem fand er die Spur einer gewaltigen Verschwörung gegen das Papsttum und
die Gesellschaftsordnung zur Zeit Dantes sowie den Beweis dafür, daß die
Templer sich ketzerischer Irrlehren bedient hätten, um ihren revolutionären
Umtrieben zum Sieg zu verhelfen und auch die Freimaurerei zu diesem Zweck
eingespannt hätten. »Die Templer«, schrieb er, »waren keine Gelehrten, sondern
Krieger, Männer der politischen Tat, sie vertraten eher selbsterdachte Anschauungen
als Glaubenssätze. Diese Anschauungen aber haben überlebt und sich durchgesetzt
in den Prinzipien, die die Freimaurerei von Zeitalter zu Zeitalter überliefert
hat... Die Templer aber fühlten die Notwendigkeit, diesen abstrakten Prinzipien
etwas hinzuzufügen, was die Phantasie der Massen beflügeln konnte, und sie
verbündeten sich zu diesem Zweck mit den Albigensern, über die sie bald die
Überhand gewannen.« In einem Schreiben, das 1857 vor der »Akademie der
Inschriften und Schönen Wissenschaften« verlesen und unter dem Titel »Francesca
von Rimini deckt die Häresie Dantes auf« veröffentlicht wurde, hatte es sich
Aroux zur Aufgabe gemacht zu beweisen, daß die von Dante mit Hilfe von
Allegorien verschlüsselt dargestellten Anschauungen bei genauerem Hinsehen die
um 1312, dem Jahr der Auflösung des Templerordens, erfolgte Verschmelzung der
Partei der Waiblinger, der Templer und der albigensischen »Massenie«, deren
Name später zu »Maconnerie« (Maurerei) deformiert wurde, verrieten.
In seiner 1860 erschienenen »Geschichte der Magie« erwähnte
auch der frühere Abt Alphonse Constant, der sich den Namen Eliphas Levi
zugelegt und mit großer Sorgfalt allerlei okkultistische Traktate und
Abhandlungen gesammelt hatte, »die Geheimlehre der Templer und die nur scheinbare
Auflösung ihres Ordens« anläßlich einer Aufzählung der angeblich magischen
Ursprünge der Freimaurerei.
Etwa 20 Jahre später bezeichnete Saint Yves dAlveydre, ein
aufgeklärter Soziologe, die Templer sowie die ersten Freimaurer als Wohltäter
der Menschheit, zumindest ihrer Intention nach. In seiner 1884 veröffentlichten
»Sendung der Juden«, die er als Kelten betrachtete, die vor der Tyrannei ihrer
Prophetinnen und Druiden nach Asien geflohen seien, erklärte er folgendes: »Die
einzig wahren christlichen Zentren der Wissenschaft und Forschung befanden sich
im Orden der Tempelherren und unter den kabbalistischen Pythagoräern, die man
gewöhnlich als die ersten Freimaurer bezeichnet.« In seinem Werk »Die Sendung
der Franzosen oder das wahre Frankreich« von 1887 bekannte er sich zu der
Überzeugung, daß Frankreich das erste Land gewesen sei, in dem man dank der
Bemühungen der Templer den Versuch unternommen habe, eine »synarchische«
Regierungsform zu begründen, die die Anerkennung der geistlichen Autorität mit der
Errichtung einer allen Bürgern verpflichteten Exekutive sowie einer staatlich
gelenkten Ökonomie verbunden habe. Dieser ernsthafte Versuch, eine ideale
politische und soziale Organisationsform des Gemeinwesens zu finden und zu
verwirklichen, die alle Konflikte zwischen den Klassen der französischen
Gesellschaft und zwischen den Staaten Europas hätte beseitigen können sei vom
»königlichen Cäsarismus«, der die Vorherrschaft im Staate beansprucht habe,
brutal zum Stillstand gebracht worden. »Dem König sei die Macht der Templer,
für deren Entfaltung die Zeit noch nicht reif gewesen sei, zunächst als
unüberwindliches Hindernis für die Verwirklichung seiner Pläne erschienen, so
daß er sich angeschickt habe, sie mit Hilfe des Papstes, der sich von diesem
neuen Cäsar habe bestechen lassen zu brechen.« In einem Gedicht von 1890, das
»der siegreichen Jeanne d'Arc« gewidmet war, hatte der Soziologe ausgeführt,
daß es die Senduni dieser wahrhaft Inspirierten gewesen sei, »ganz Europa unter
dem synarchischen Gesetz zu vereinen, das von den Templern überliefert worden
sei«. Allein weil man sie verraten habe, sei es ihr nicht möglich gewesen,
diese Mission zu erfüllen.
Zur gleichen Zeit trug auch der Doktor der
Geheimwissenschaften Stanislas de Guaita, den Barres »einen Erneuerer des
Okkultismus nannte, der aber real nichts als Flickwerk zustandebrachte, das
Seine zum Überleben der beiden Legenden der templerischen Maurerei und de
revolutionären Templertums bei. In seinem 1886 erschienenen »Versuch
über die verleumdeten Wissenschaften«, dessen ersten Teil er »An der Schwelle
des Mysteriums« nannte, reihte er die Templer unter die wahren Eingeweihten ein
und gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß die »okkultistische Freimaurerei die
mehr oder weniger direkte Erbin des Templerordens sei, denn es sei überliefert,
daß Jacques de Molay vor seinem Tod die ersten freimaurerischen Versamlungen
geleitet habe« Der zweite Teil des Werkes mit dem Titel »Die Schlange der
Genesis« dessen erstes Kapitel »Der Tempel Satans« überschrieben war, erschien
1891 und führte die französische Revolution auf die Subversion de
Templer zurück, die auf diese Weise das einstmals gegen ihren Orden begangene
Verbrechen gesühnt hätten«.
Die sich hartnäckig haltende templerische Legende eignete
sich vortrefflich dazu, von Betrügern und politischen Parteien ausgebeutet zu
werden, und sie lieferte auch die Grundmauern für ein neues System, das sich
zwar zunächst auf die Freimaurerei stützte, sich von den templerischen Riten
aber völlig löste.
1806 versuchte ein Abenteurer Anhänger zu gewinnen für einen
»Orden der Barmherzigkeit«, von dem er behauptete, er sei eine Wiedergeburt des
Tempelherrenordens. Dessen geheimes Oberhaupt war seinen Angaben nach kein
geringerer als der französische Kaiser. Nachdem der potentielle Erneuerer aber
von einem Konkurrenten bei der Polizei angezeigt und mit Strafe bedroht worden
war, verschwand er plötzlich spurlos. Der Denunziant war ein Portugiese Namens
Nunes gewesen, der seinerseits behauptete, »die wahren Nachfolger der alten Templer
Portugals zu vertreten«. Deren Orden sei niemals aufgelöst worden, sondern
Clemens V. habe es ihnen in einer päpstlichen Bulle gestattet, ihren alten
Namen abzulegen und sich »Ritter Christi« zu nennen. Er legte ein aus mehreren
Graden der Einweihung bestehendes System vor, dessen Rituale von den Hochgraden
der templerischen Maurerei abgeschrieben waren. Es gelang ihm, in Paris eine
Loge und eine Komturei einzurichten, und er verteilte Pfründe sowie die Titel
von Prioraten und Komtureien für praktisch alle Teile Europas. Diejenigen, die
auf ihn hereinfielen und unbarmherzig ausgepreßt wurden, mussten schließlich
feststellen, daß der angebliche »Orden Christi« nichts als ein kommerzielles
Unternehmen war. Nunes bekam es seinerseits mit der kaiserlichen Polizei zu tun
und wurde ausgewiesen.
Die Mitglieder des 1815 gegründeten »Ordens der Neuen
Franken« bedienten sich einer Terminologie, die an den alten Orden der
Tempelherren und an freimaurerische Sitten und Gebräuche erinnerten - sie
wollten unter diesem Schleier aber lediglich ihre politischen Ambitionen
verbergen. Das System wurde nie anders als mit seinen Initialen »O.D.F.R.«
(Ordre des Francs Regeneres) bezeichnet und setzte sich aus fünf Graden
zusammen: Eingeweihte, Schüler, Ritter, Pröbste und Großpröbste. Seine
Komtureien entsprachen den Militärregionen des Königreichs, seine Priorate den
Departements und seine Regentschaften den Unterpräfekturen. Sobald man in den
2. Grad gelangt war, wurde man in das »Erkennungszeichen«, das »Paßwort« und in
den »Anfangsbuchstaben des Heiligen Wortes« eingeweiht. Die Angehörigen des
höchsten Grades hießen Großpröbste von Ptolemais, von Pelusium, von Rhodos, von
Sidon, von Kidron, von Tiberias etc.
Der Orden bestand aus Ultra-Royalisten, die es sich zur Aufgabe
gemacht hatten, Thron und Altar dadurch zu verteidigen, daß sie sich bemühten,
deren verborgene Feinde - die Liberalen und Bonapartisten, die sich noch in der
öffentlichen Verwaltung befanden - aufzuspüren. Die »Neuen Franken« waren
überzeugt davon, daß die Logen den Gegnern des Königtums als Versammlungsorte
dienten, und sie arbeiteten darauf hin, die Geheimhaltung der Freimaurer, die
deren besten Schutz nach außen hin darstellten, zu unterlaufen. Sie wollten die
Logen unterwandern, das dortige Geschehen beobachten und den staatlichen
Stellen unter der Hand diejenigen Beamten melden, die vor ihren Brüdern
verdächtige Ansichten geäußert hatten. In einer Rede, die der Vorsteher des
Ordens am 22. Dezember 1815 in der Galerie Lebrun, Rue du Gros-Chenet, »bei der
Enthüllung einer Büste des Königs« hielt, wurde dieses Programm verkündet, und
die Vertreter der Staatsmacht wurden nicht ohne Arroganz vor allen Versuchen
gewarnt, dessen Durchführung zu behindern.
»Werte Ritter! Gott, König und Vaterland sind die höchsten
Ziele unserer Verehrung, unserer Hingabe, unseres Dienstes. Es muß genügen,
wenn wir es bekräftigen, und wenn wir bereit dazu sind, den Beweis dafür
anzutreten, daß wir die Interessen des Staates, wo immer sie preisgegeben
werden, verteidigen werden. Es muß genügen, daß wir klar und deutlich erklären,
daß, falls die Verteter der Staatsmacht sich ohne Grund um das Ziel unserer
Aktivitäten Sorgen machen, es angemessener wäre, daß man sie selbst, die
Beunruhigten, mit Sorge betrachtet ... Nehmen wir uns ein Beispiel an unseren
Gegnern! Selbst ihr geringstes Vorhaben schützen sie durch äußerste
Geheimhaltung ... Teure Ritter! Man beschuldigt uns des Denunziantentums ...
Was wir aber getan haben, ist, die staatlichen Stellen über die Feinde des
Königs aufzuklären. Falls diese den richtigen Gebrauch gemacht haben von
unseren Auskünften, so haben sie sich davon überzeugen können, daß wir weder
eine Gefahr darstellen noch daß unsere Bemühungen als nutzlos zu betrachten
sind.«
Auch wenn diese freiwilligen Kundschafter keinen Lohn für
ihre Bemühungen forderten, so meinten sie doch, zumindest Anspruch auf
Ermutigung und Förderung zu haben; dieser Anspruch wurde aber nicht eingelöst.
Das lag unter anderem daran, daß sie sehr aktive Konkurrenten hatten. Dem angeblich
von Fürst Jules de Polignac ins Leben gerufenen »Königlichen Geheimbund zum
Ring«, einer weiteren ultraroyalistischen Gesellschaft, war es bereits
geglückt, zahlreiche Anhänger zu gewinnen in eben den Kreisen, die sich die
»Neuen Franken« für ihre Rekrutierungsarbeit ausgesucht hatten. Außerdem ließ
die königliche Regierung, die ihren übereifrigen Freunden mehr mißtraute als
ihren erklärten Gegnern, die falschen Templer ihrerseits bespitzeln, und zwar
von einem ihrer eigenen Oberen, dem Grafen von Beaumont-Brevezac der sich
Großprobst von Rhodos nannte. So finden sich in der Hinterlassenschaft des
Baron Mounier, des ersten Oberaufsehers der Polizei, mehr als zwanzig geheime
Berichte des Grafen. Im Jahr 1816 schließlich empfahl Bruder de Beurnonville, der
stellvertretende Großmeister des Groß-Orients, diejenigen »Gesellschaften,
deren einziges Ziel es sei, andere anzuschwärzen«, der besonderen
Aufmerksamkeit des Polizeimeisters du Decazes, der zugleich der Schirmherr des
Obersten Rates der Freimaurerei war. Daraufhin schloß die Regierung Ludwigs
XVIII., der die Ultras mehr Sorgen bereiteten als die gesamte Opposition, mit
Polizeigewalt, aber ohne großes Aufsehen zu erregen, alle Logen der »Neuen
Eranken«.
Die Mitglieder dieser Gesellschaft zerstreuten sich aber
keineswegs sofort in alle Winde. Das geht aus den Berichten Beaumont-Brevezacs
hervor, der seine Beobachtungstätigkeit genausowenig einstellte. Einige
schlossen sich dem »Geheimbund zum Ring« an, während drei oder vier Großpröbste
unter äußerster Geheimhaltung fortfuhren, eine Pariser Gruppierung zu leiten,
die die alten Erkennungszeichen abänderte und mit einigen Prioraten und
Regentschaften der Provinz in Kontakt blieb. Der größte Teil der ehemaligen
»Neuen Franken« scharte sich um den Großprobst von Pelusium, den Grafen von
Grasse, der auch die Mitgliedschaft eines weiteren royalistischen Zirkels, der
Gemeinschaft der »Freunde des Königs«, als Anhänger gewann, den Lehrlingsgrad
(den früheren Grad des Eingeweihten) mit einem freimaurerischen Emblem
ausstattete und seine Truppe unter der irreführenden Bezeichnung der
»Rektifizierten Schottischen«, das hieß der templerischen Maurerei marschieren
ließ. Da der Bericht des Kundschafters vom 21. April 1816 der letzte war, ist
über die weitere Entwicklung dieser Gesellschaft nichts mehr bekannt.
Der kräftigste unter all den Abkömmlingen des Templertums war
eine Gesellschaft, die ihren unteren Graden die freimaurerische Form verlieh
und sich zunächst offiziell als »Orden vom Orient« bezeichnete.
Ihre Keimzelle war die Loge der »Ritter des Kreuzes«, die am
23. Dezember 1805 eine Konstitution des Groß-Orients erhielt. Es gelang ihr,
eine große Anzahl von Mitgliedern der überwiegend aus Aristokraten bestehenden
Loge »Sainte-Caroline« für sich zu gewinnen, darunter die Brüder de Choiseul,
de Chabrillan, de Vergennes, de Dillon, de Coigny, de Montesquiou, de Narbonne,
de Bethune, de Montmorency, de la Tour du Pin, d'Aligre, de Labourdonnaye, de
Senonnes, de Crussol, de Nanteuil, de Flahaut etc. Die nach außen hin
sichtbaren Grade des Ordens waren nicht so originell, als daß sie eine
gesellschaftlich so hochstehende Klientel hätten anziehen können. Der Grad des
»Meister vom Orient« stellte eine Kopie des alten »Auserwählten der Fünfzehn«
dar, der Meister »Sankt Johanni vom schwarzen Adler« erinnerte stark an den
früheren Grad des »Auserwählten der Neun« und der »Vollkommene Meister des
Pelikan« war dem »Ritter vom Rosenkreuz« nachempfunden. Allerdings umfaßte das
System auch eine Geheimklasse, die sich auf den Orden der Tempelherren
berief.
Die Begründer dieses neuen »Inneren Ordens« waren drei
Freimaurer: der Arzt Ledru, der Notariatsangestellte de Courchamp und ein
gewisser de Saintot. Sie berichteten, daß Bruder Radix de Chevillon sie am 10.
Juni 1804 zusammengerufen habe, um ihnen die Vollmachten auszuhändigen, die er
1792 vom letzten Großmeister des Templerordens, dem Herzog Timoleon de
Crosse-Brissac erhalten haben wollte. Dieser habe sich, als er sein Ende nahen
fühlte, »tugendhaft und treu wie Jacques de Molay, aus seiner unbeschränkten
Machtvollkommenheit heraus einen Nachfolger erwählt«. Die revolutionären Wirren
aber hätten Chevillon daran gehindert, sich mit seinen in alle Welt verstreuten
und verfolgten Untergebenen in Verbindung zu setzen, und jetzt, da die
staatliche Ordnung wieder hergestellt sei, könne er aufgund seines hohen Alters
und seiner Gebrechlichkeit weder seine hohen Ämter ausfüllen noch den in tiefem
Schlaf befindlichen Orden wieder zum Leben erwecken. Daher habe er seinen drei
Vertrauten die Würde von »Ordensfürsten« übertragen, Ledru zum
Generalstatthalter von Afrika ernannt, de Saintot das gleiche Amt für Asien
übertragen und de Courchamp zum »Großpräzeptor« bestimmt. Außerdem habe er
ihnen Dokumente ausgehändigt, aus welchen die Authentizität des neuen
Templerordens hervorgehe.
Diese Sammlung von Dokumenten bestand erstens aus den Protokollen
zahlreicher geheimer Zusammenkünfte, zweitens aus dem »Archetypus«, der 1705
revidierten Statuten, einer 27seitigen, mit »Philippus Aurelianensis«
unterzeichneten Handschrift in Folioformat, mit Goldschnitt und in
karmesinroten Samt eingeschlagen, sowie drittens aus der »Charta
Transmissionis« oder »Tabula Aurea«. Dies war die bedeutendste Urkunde; sie
sollte vom unmittelbaren Nachfolger Jacques de Molays stammen, trug die
Jahreszahl 1324, war »in Hieroglyphen auf einen ungewöhnlich großen Pergamentbogen
geschrieben mit gotischen Architekturzeichnungen, mit Blumen, silbernen und
farbigen Buchstaben verziert, und an pergamentartigen Schnüren war das Siegel
des Ordens befestigt. Außerdem hatten alle geheimen Großmeister von 1324 bis
1792 die »Charta Transmissionis« eigenhändig unterzeichnet.
Es erübrigt sich, nach dem Urheber dieser apokryphen
Dokumente zu forschen, denn aus einer Denkschrift, die Clavel von dem
englischen Truppenarzt Morison of Greenfield, einem Mitglied des Ordens,
erhielt, geht unzweifelhaft hervor, welch betrügerischer Praktiken sich Ledru
bediente, und den drei Urkunden wird ein wenig wahrscheinlicher Ursprung
zugeschrieben. Ledru, so hieß es, sei früher der Hausarzt der
Familie Cosse-Brissac gewesen, und er habe bei der Versteigerung
der Möbel des Herzogs einen Sekretär erstanden, in dem er die Dokumente fand,
von denen er 1804 behauptete, er habe sie von Radix de Chevillon erhalten. Der
wahre Erneuerer des Templerordens sei Philippe d'Orleans gewesen; dieser habe
sich daran erinnert, daß sich 1682 in Versailles ein Geheimbund den
Namen»Kleine Auferstehung der Templer« gegeben und sokratischen Lebenswandel
gepredigt habe. 1705 habe Philippe zusammen mit den ehemaligen
Angehörigen des vor 23 Jahren aufgelösten Bundes eine neue Geheimgesellschaft
gegründet, »die sich von ihrem ursprünglichen Ziel abgewandt habe, um sich mit
politischen Angelegenheiten zu befassen«. Auf Veranlassung des
zukünftigen Regenten, der sich den Titel eines Großmeisters zulegte, habe man
die alten Regeln des Templerordens modifiziert, um sie dem aktuellen Stand der
gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen. Der Jesuit Bonnani, ein Verfasser
äußerst gelehrter Werke und hervorragender Zeichner, habe die Charta
Transmissionis erstellt und sämtliche Unterschriften der sukzessiven
Großmeister gefälscht. Man habe zudem eine Zusammenfassung der Ergebnisse
zahlreicher Beratungen gefunden und daraus im nachhinein fiktive Protokolle der
Sitzungen zusammengestellt, die man als die bedeutendsten dargestellt habe. Die
Nachfolger des Regenten im Amt des Großmeisters hätten jenes Erbe übernommen,
und auf diese Weise seien die Dokumente in den Sekretär des letzten
Großmeisters, des Herzogs von Cosse-Brissac, gelangt.
Wer auch immer der Urheber dieser Fälschung gewesen und wann
sie auch entstanden sein mag, es erscheint zumindest als gesichert, daß Ledru
der bedeutendste Vorkämpfer dieses Unterfangens war. Nachdem sich ihm die
Brüder de Saintot und de Courchamp angeschlossen hatten und er in der Person
Radix de Chevillons einen Strohmann gefunden hatten, bot er diesem den Titel
eines Großmeisters an, den er selbst nicht zu übernehmen wagte - Chevillon
allerdings sagte lediglich zu, sich als Regent in die Charta Transmissionis
einzutragen. Daraufhin zog Ledru vier weitere Brüder ins Vertrauen:
Fabre-Palaprat, einen ehemaligen Priesterseminaristen, der sich später der
Heilkunst und Fußpflege gewidmet hatte, Leblond, einen Angestellten der
kaiserlichen Bibliothek, Arnal, der zur Zeit der Revolution Pfarrer und in der
Folge Alteisenhändler gewesen war, und schließlich Beuchot de la Varenne.
Die acht Bundesgenossen versammelten sich am 4. November 1804
zu einem »Generalkonvent« und wählten Fabre-Palaprat für ein Jahr zum
Großmeißter, in der Erwartung, vor Ablauf dieses Zeitraums doch eine
bedeutendere Persönlichkeit für die Übernahme dieses Amtes gefunden zu haben.
Daraufhin schrieb sich der kühne Augenoperateur folgendermaßen in die Charta
Transmissionis ein: Ego, Bernardus-Raymundus Fabre, Deo juvante, Supremum
Magisterium acceptum habui, die quarta novembris 1804. Die imposante
Versammlung ernannte de Courchamp zum Generalstatthalter für Europa, und Beuchot
folgte ihm in seinem früheren Amt als Großpräzeptor nach. Letzterer wurde
gleichzeitig zum Generalstatthalter von Amerika bestimmt, eine Funktion, die
ursprünglich Fabre-Palaprat ausgefüllt hatte.
In der Legende vom geheimen Überleben des Templerordens wurde
Graf de Beaujeu, der in der alten Version die Hauptrolle gespielt hatte, nun
nicht mehr erwähnt, sondern durch einen Unbekannten namens Jean-Marc Larmenius
aus Jerusalem ersetzt. Diesen habe Jacques Molay kurz vor seiner Hinrichtung zu
seinem Nachfolger bestimmt. Zwar gaben die Neutempler zu, daß die von Jacques
Molay unterzeichnete Akte, vermittels der er seine Vollmachten auf Larmenius
übertragen habe, verlorengegangen sei, sie sahen den Beweis für diese
Übertragung aber in einer Charta erbracht, nach deren Wortlaut Larmenius,
humilis magister militiae Templi, 1324 in hohem Alter die Großmeisterwürde
einer anderen geheimnisvollen Persönlichkeit, Francois-Thomas-Theobald
Alexandrinus, übergeben habe. Dabei habe er entschieden, daß auch die zukünftigen
Großmeister der Templer das Recht haben sollten, ihre Nachfolger selbst zu
bestimmen, unter der Bedingung allerdings, daß ihre Wahl von einm Allgemeinen
Konvent des Ordens bestätigt würde und daß dem Großmeister vier Vikare oder
Generalstatthalter zur Seite stünden, die aus der Mitte derjenigen Ritter zu
bestimmen seien, die dem Orden schon am längsten angehörten. Die Charta
erinnerte daran, dass ein Generalkonvent gegen jene Templer, die abtrünnig
geworden seien und sich in Schottland unter dem Banner Robert Bruces versammelt
hätten, den Bannfluch ausgesprochen habe. Diese hätten jenem bei der Gründung
einer neuen Geheimgesellschaft zur Seite gestanden, die bestimmte Bräuche des
Tempelherrenordens nachgeahmt hätten und aus der auch die freimaurerischen
Hochgrade hervorgegangen seien, die als »Schottische« bezeichnet würden. Der
gleiche Bannfluch sei gegen die »Ritter des Heiligen Johannes«, die man
»Malteser« nenne, geschleudert worden, denn sie hätten sich die Schätze des
Ordens widerrechtlich angeeignet. Um zu verhindern, daß sich diese falschen
Brüder in die Logen der Tempel einschleichen könnten, dürfe man die
Erkennungszeichen von nun an nur noch mündlich weitergeben.
Unter den Nachfolgern von Larmenius und Alexandrinus, die
sich »allesamt durch ihre Tugenden und hohe Ämter im Staat ausgezeichnet
hätten« befanden sich Bertrand Duguesclin (1357), drei Grafen d'Armagnac
(1381-1451), Henri de Montmorency (1574), Charles de Valonis (1615), Henri de
Durefort, Herzog von Duras (1681), der Herzog von Maine (1724), Henri de
Bourbon-Conde (1737) und Francois de Bourbon-Conti (1741).
Eine Charta, die solch illustre Signaturen trug, sowie eine
derart prächtig gebundene Sammlung von Statuten stellten einen blendenden
Fundus dar, mit dem kein anderes System konkurrieren konnte. Aber auch damit
gaben sich Fabre und seine Genossen noch nicht zufrieden. Erst das »Inventar
der Heiligen Schatzkammer«, ein Auszug aus der Urschrift des Protokolls, das am
14. Tag des Mondes Tab, im Jahre 692 seit der Gründung des Ordens, am 6.
Magistere (dem 18. Mai 1810) angefertigt worden sei, mußten ihrer Ansicht nach
die letzten Zweifler überzeugen. Diese Schatzkammer sollte folgendes enthalten:
Ein kupfernes Reliquienkästchen in Gestalt einer gotischen Kathedrale, »mit
vier in ein leinenes Schweißtuch gewickelten versengten Knochenfragmente, einem
Überbleibsel des Scheiterhaufens, auf dem die Märtyrer des Ordens verbrannt
worden seien«, ein eisernes Schwert mit einem kreuzförmigen, in einer Kugel
endenden Griff, das »wahrscheinlich dem G. M. J. Molay gedient habe«, einen mit
einem Visier versehenen eisernen Helm, mit Delphinen verziert und mit Gold
ausgelegt, der »vermutlich Guy, dem Dauphin der Auvergne, gehört habe«, einen
alten Sporn aus goldüberzogenem Kupfer, einem bronzenem Hostienteller, »in dem
eine Hand eingraviert worden war, von deren Fingern nur drei ausgestreckt
waren«, einem weiteren Hostienteller aus vergoldeter Bronze, auf dem der
Apostel Johannes unter einem gotischen Gewölbe stehend abgebildet war, drei
bronzene gotische Siegel in Form von flachen Ovalen von besonderer Größe, die
die Statuten als das Siegel des Großmeisters Jean, als das der Kreuzritter und
als das des Evangelisten Johannes bezeichneten«, weiterhin ein Bischofsstab aus
Elfenbein und drei Mitren, davon eine aus seidenbesticktem Goldstoff und zwei
aus perlenbesticktem Silberzeug, »die man bei den Zeremonien des Ordens
verwendet habe«, schließlich der mit dem Kreuz des Ordens versehene
Rittermantel aus weißer Wolle und die Kriegsflagge, ebenfalls aus weißem
Wollstoff mit vielen schwarzen Streifen durchsetzt.
Die Ausgestaltung des Systems wurde 1806 vollendet. Die in
lateinischer Sprache abgefaßten Statuten waren sehr detailliert - sie bestanden
aus 43 Sektionen, deren eine die Ordensregel zur Grundlage hatte, die
ursprünglich Bernard de Clairvaux den Templern gegeben hatte. Der Orden setzte
sich aus drei -Klassen zusammen, aus den »Häusern der Einweihung«, den »Häusern
der Postulanten« und den »Konventen«. Den »Häusern der Einweihung« stand ein
»Ehrwürdiger Dekan« vor mit einem stellvertretenden »Meister vom Stuhl«, einem
Präfekten der Garde und einem Zensor-Almosenier an seiner Seite sowie einem
Quästor, einem Zeremonienmeister und einem Sekretär. Die sonstige
Mitgliedschaft bestand aus Initiati, Intimi Initiati, Adepti und Orlentales
Adepti, die den vier freimaurerischen Graden des Lehrlings, Gesellen, Meisters
und Schottischen Meisters entsprachen. Sämtliche Angehörige kannten das System
ausschließlich als »Orden vom Orient«.
Die »Häuser der Postulanten«, in die die Brüder aufgenommen
wurden, die den 5. und 6. Grad erlangt hatten, sowie die Magni Aquilae Nigrae
Sancti Johannis Apostoli Adepti und die Perfecti Pelicani Adepti, die
gewöhnlich »Postulanten des Ordens« genannt wurden, zeichneten sich durch zahlreiche
Führungspositionen aus: den Weisesten Vorsteher Emmanuel, einen Ersten und
einen Zweiten Gouverneur, einen Redner und Almosenier, einen Kanzler, einen
Quästor, den Ersten und Zweiten Präfektor der Garde, mehrere Meister der
Feierlichen Rituale und einen Sekretär.
Die Träger der beiden explizit templerischen Grade, in die
die Postulanten aufsteigen konnten, waren die einzigen, die das Recht hatten,
an den Versammlungen teilzunehmen, die als »Konvente« bezeichnet wurden. Diese
beiden Grade waren zum einen der des Knappe-Novize und zum anderen der des
Ritters oder Leviten der Inneren Garde. Den Konventen stand ein Prior vor, dem
14 Würdenträger beigeordnet waren.
Die Aufnahme in den Grad des Ritters erfolgte in Form einer
höchst feierlichen Zeremonie. Der Kandidat wurde gemäß den alten Bräuchen
schwertgeleitet - als erstes schnitt er sich eine Locke seines Haupthaare ab,
die von nun an in einem mit dem Siegel des Ordens verschlossenen Umschlag in
den Archiven aufbewahrt wurde, dann legte er die Professio ab, das hieß, er
unterzeichnete mit seinem Blut eine Eidesformel die sechs Gelübde enthielt:
Gehorsam, Keuschheit, Armut, Brüderlichkeit Gastfreundschaft und Verpflichtung
zum Kriegsdienst. Er gelobte ausdrücklich, sein Schwert, seine Kraft, sein Leben
und all seine Güte der Befreiung des Heiligen Grabes, Palästinas und der
orientalischen Ländereien des Templerordens zu widmen, »mit dem Schwert für da
Kreuz, gegen die Heiden und Ungläubigen zu kämpfen, die ihrerseits das Kreuz
mit dem Schwert angegriffen hätten«. Endlich mußte er, falls er das höchste
Ziel im Orden erreichen wollte, nach seiner Aufnahme eine Pilgerreise ins
Heilige Land unternehmen oder zumindest »in die Stadt, in der die Asche der
illustren Märtyrer aufbewahrt sei, und er mußte dort auch den Ort ihres Todes
besuchen«.
In die dritte Klasse nahm der Orden auch Frauen auf; diese
wurden als »Chevalieres Professes« bezeichnet und waren theoretisch der Regel
unterworfen, die 1451 von einem Generalkonvent des Templerordens für Frauen
erlassen worden war. Ihre besonderen Zusammenschlüsse wurden als »Abteien«
bezeichnet, von denen in jeder Komturei eine eingerichtet werden konnte.
Innerhalb des Systems gab es zwei verschiedene Arten der
Zeitrechnung, wobei diejenige der Konvente mit 1118, dem Gründungsjahr des
Templerordens begann, so daß z.B. 1806 zu 688 A.O. (Anno Ordinis) wurde. Die
Häuser der Einweihung addierten 9000 Jahre zu dieser Zahl, wodurch das erwähnte
Datum zu 9688 wurde. Sie rechneten mit Mondjahren und begannen mit Ostern; die Monate
hießen »Monde« und trugen hebräische Namen: Nisan, Tab, Sivan, Tammuz, Aab,
Elul, Tischri, Marchevan, Cisleu, Tebeth, Schebet, Adar; in den Schaltjahren,
dem 3., 6., 8., 11., 14., 17. und 19. eines Zyklus von 19 Jahren, wurde ein 13.
Monat, der Veadar, hinzugefügt.
Innerhalb des Ordens feierte man vier eigene Feste: den
letzten Tag des Mondjahres, den Todestag Jacques Molays sowie die Feste
Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten.
Die Wappen des Systems, die ebenso mit Symbolen überfrachtet
waren wie die der alten englischen Maurer, bestanden aus einem silbernen
Schild, das durch ein rotes Kreuz in vier Teile geteilt war, ganz oben ein Helm
mit einem Visier und einer Helmdecke, ein Hermelinmantel und eine Krone,
darunter zwei Engel mit ausgebreiteten Flügeln, deren einer den Rittermantel
trug, der andere »eine weiße Fahne mit rotem Kreuz«. Die Losung »Gelobt sei
Gott, der Herr der Liebe« war durch ihre Initialen auf einer Banderole
vertreten.
Weitaus ehrgeiziger als die Strikte Observanz, die nur einige
der alten Templerprovinzen hatte rekonstruieren wollen, zielte der neue
Templerorden darauf ab, die ganze Erde (mit der einzigen Ausnahme von Ozeanien)
zu erobern. Die Vikare des Großmeisters nannten sich Generalstatthalter von
Europa, Asien, Afrika und Amerika, wobei diese Kontinente noch jeweils in einen
Nord- und einen Südteil geschieden wurden, die theoretisch je einem
Großpräzeptor unterstanden. Jedem Staat bzw. jeder »Zunge« des Ordens sollte
ein Großprior vorstehen und jeder Ballei eines Großpriorats ein Regent.
Schließlich bildeten eine oder mehrere Städte einer Ballei eine Komturei, deren
Oberhaupt die Aufsicht über die Konvente, die Häuser der Postulanten und die
der Einweihung innerhalb seines Gebietes innehatte.
Um dieses Riesenreich zu regieren, waren in den Statuten ein
gewaltiger Generalstab sowie zahlreiche Verwaltungsorgane vorgesehen. Die vier
Generalstatthalter etwa versammelten sich in einem »Privaten Rat« um den
Großmeister. Der »Magistratsrat« wiederum umfaßte 20 Mitglieder: die vier
Vikare, den Ersten Präzeptor und die acht Großpräzeptoren, den Primas des
Ordens und seine vier Koadjutoren, ferner den Großseneschall und den
Magistratssekretär. Zur »Präzeptoralkurie« gehörten die Präzeptoren, der
Großseneschall, der Magistratssekretär, der Großkonnetabel, der Adjutant des
Großmeisters, der Großadmiral, der Generalgroßprior, der Großalmosenier, der
Großkanzler, der Großschatzmeister und der Generalintendant aller Botschaften.
Die »Synodalversammlung« setzte sich aus den Vertretern der Geistlichkeit
zusammen - dem Primas, den Generalkoadjutoren und den Magistratslegaten. Den
»Gesetzgebenden Versammlungen« gehörten die Mitglieder des Magistratsrates an
sowie die Großgrafen (die 25 Konsistorialgrafen), ferner die acht Pfalzgrafen
und die 73 Nationalgrafen.
Die jeweiligen Aufgaben dieser Institutionen waren sehr
präzis bestimmt. So schlug z.B. die »Präzeptorialkurie« dem Großmeister drei
Kandidaten vor, sobald ein Vikariat zu besetzen war, sie überwachte ferner die
Einhaltung aller Regeln und sie spielte für die Grafen sowohl die Rolle eines
Appelations- und Kassationsgerichtshofes als auch die einer Disziplinarkammer.
Die Gesetzgebenden Versammlungen bestimmten den Umfang der Beiträge, bewachten
die Ausgaben und beschlossen die Einrichtung neuer Konvente, Abteien,
Komtureien und Balleien. Ein Großrat, der lediglich im Fall des Todes oder der
Abdankung des Großmeisters zusammentrat, bestimmte einen Regenten, der bis zur
Wahl eines neuen Großmeisters durch einen Allgemeinen Konvent interimistisch
regierte.
Die protokollarischen Formeln der alten Strikten Observanz
waren die Einfachheit und Bescheidenheit selbst gewesen, vergleicht man sie mit
denen der neuen Templer. Der Großmeister wurde folgendermaßen angesprochen:
»Eure Erhabenste Hoheit, Hochedler und Mächtiger Fürst, Durchlauchtigster Herr,
Heiliger Vater und Pontifex, Heiligster Patriarch«. Die vier Vikare hießen:
»Eure Hoheit, Großer und Hochedler Fürst, Durchlauchtigster Herr und Monsignore
Generalstatthalter«. Mitglieder der Präzeptoralkurie wurden genannt: »Eure
Excellenzen, Große und Illustre Herren, sowie Hochehrwürdige Brüder und
Minister des Ordens«. Der Primas, seine Generalkoadjutoren und die
Magistratslegaten hießen »Heilige Eminenzen, Illustre und Ehrenwerte Herren
sowie Hochehrwürdige Brüder«. Auch die Großgrafen auf der untersten Stufe der
Hierarchie wurden noch als »Illustre und Ehrenwerte Herren und Hochedle Brüder«
bezeichnet.
Die Würdenträger unterzeichneten alle Schriftstücke mit ihren
religiösen, also Ordensnamen, gefolgt von der Bezeichnung ihrer fiktiven
Domäne. Die Komture hatten zweigeteilte Wappen, rechts das Sinnbild der
Hauptstadt ihrer Komturei und links ihr persönliches Emblem oder, falls sie
Bürgerliche waren, das Wappen, das der Orden ihnen zugewiesen hatte.
Schließlich hatte der Orden noch ein besonderes Emblem - das Großkreuz -, das
den Fürsten, Ministern, Magistratslegaten und -gesandten, den Adjutanten und
Äbtissinnen zustand; der Großmeister konnte es aufgrund besonderer Verdienste
auch den männlichen und weiblichen Rittern verleihen.
In den Versammlungen trugen alle Brüder der 3. Klasse die
Gewänder und Insignien ihrer Würde und ihres Grades. Wenn ein Ritter seinen Eid
leistete, trug er einen leinenen Gürtel um seine Hüfte, einen Mantel und ein
Oberkleid aus weißem Wollstoff mit einem roten Ordenskreuz auf der linken
Seite, weißwollene Beinkleider mit Gamaschen aus rot eingefaßtem Wildleder, auf
dem Kopf ein Barett, ebenfalls aus weißrotem Wollstoff mit einer roten Feder,
um die Stirn ein weißes Seidenband mit roten Fransen und dem Ordenskreuz auf
beide Enden gestickt, um den Hals ein rotes Band in weiße Seide gefaßt, an
welchem das besondere Kreuz seines Konvents hing, am Zeigefinger der rechten
Hand einen Ring mit einem Brillantkreuz, in den auf der Innenseite sein
Familien- und sein religiöser Name eingraviert waren, sowie das Datum seines
Eintritts in den Orden. Schließlich trug er vergoldete Sporen, einen
Reitersäbel mit versilbertem kreuzförmigen Griff, der an einem Gürtel aus
grüner Seide hing.
Mantel und Oberkleid der Minister waren gefüttert und mit
Zobelpelz besetzt. Der Primas trug den Ring der Professio und den bischöflichen
Ring an den Fingern, um den Hals die Kette der Grafen, um die Stirn das Band
der Präzeptoren, auf dem Kopf das weiße priesterliche Barett aus einem Geflecht
aus Seide und Gold. Er war mit einem weißwollenem Mantel bekleidet, besetzt mit
Zobel und Hermelinpelz, ertrug Beinkleider aus weißer Seide, goldgeränderte
Stiefel aus rotem Leder und goldene Sporen. Wenn er den Gottesdienst abhielt,
trug er ein leinenes Chorhemd, ein Oberkleid aus goldgeränderter weißer Seide,
eine Mitra aus Goldgewebe, den Bischofsstab und den Rosenkranz. Die Fürsten
trugen einen Mantel und ein Oberkleid mit Hermelinpelz gefüttert und verbrämt,
einen Gürtel mit Goldfransen, einen Hut aus Hermelinpelz mit einem Band, einer
Quaste und drei goldenen Federbüschen, ferner seidene Beinkleider mit Gold
verbrämt, weiße goldgefaßte Stiefel mit roten Absätzen, und der Griff ihres
Schwertes bestand »aus lauterem Gold und war mit Rubinen besetzt«.
Das Kostüm des Großmeisters war von geradezu orientalischer
Pracht. Ebenso gekleidet, gestiefelt und gespornt wie die Fürsten, trug er auf
seinem Barett eine goldene Krone, am rechten Ringfinger den karfunkelbesetzten
Ring des Meisters, und sein Schwert mit dem Goldknauf voller Karfunkel trug er
an einem goldenen Gehänge. Um den Hals trug er zwei Ketten, die erste bestand
aus 81 Stahlgliedern, an ihr hing ein Kreuz aus rotem Email, in dessen Mitte
ein Bildnis Hugo de Payens mit der Losung »Pro Deo et Patria« angebracht war,
während auf der Rückseite das Antlitz Bernard-Raymond Fabre-Palaprats erschien,
zusammen mit der Devise: Ferro non auro se muniunt. Die zweite Halskette hatte
die Form eines Rosenkranzes, sie bestand aus 27 ovalen, rotemaillierten Perlen,
von denen drei Achtergruppen durch größere weiße Perlen mit einem Schwarzen I
und einem roten H voneinander abgesetzt waren, wobei diese Buchstaben von
grünen Palmzweigen umrankt waren. Eine rot-weiße Seidenschnur, die von der
rechten Schulter zur linken Hüfte reichte, trug das Kreuz des Konvents. In der
linken Hand hielt der Großmeister den Bischofsstab, der mit dem Erdball und mit
dem Kreuz des Ordens geschmückt war.
Liest man die Statuten des neuen Templerordens, so gewinnt
man den Eindruck, sie seien von Possenreißern zusammengestellt worden. Die
kindische Freude an aufwendigen Verkleidungen und leeren Ehrentiteln, die ein
Jahrhundert zuvor die Schottischen Grade, die Systeme der »Kaiser des Orients und
des Okzidents« sowie das der »Souveränen Fürsten des Rosenkreuzes«
hervorbrachte, hatte nun jegliches Maß verloren und war ins Lächerliche
abgeglitten. Unfreiwillige Komik fand sich z.B. in dem Artikel der Ordensregel,
in dem in vollem Ernst gefordert wurde, daß der Großbannerträger den
Rittermantel nur dann entfalten dürfe, »wenn der Großmeister (der von Beruf
Hühneraugenoperateur war) persönlich in der Feldschlacht zugegen sei«. Ebenso
fragwürdig waren die Titel eines Großmeisters der Artillerie, eines
Generalkapitäns der Kavallerie, eines Palastgroßmarschalls, eines Großknappen,
eines Oberkammerherrn und eines Obermundschenks; es ist auch schwer
vorstellbar, wie sich ein Arzt und ein Anwalt ohne weiteres als Generalkapitän
der Infanterie und als Galeerenhauptmann oder Galeerengroßmeister qualifizieren
konnten, oder warum ein weiterer Bruder sich nicht genierte, sich als »Komtur
von Sarlat, Primas-Koadjutor der 'Zunge' von Aquitanien, Pontifex der Heiligen
Kirche Christi, Gesandter des Weihbischofs von Frankreich, Minister des Ordens,
Magistratssekretär und Heraldischer Großrichter« zu bezeichnen. Es scheint, als
habe sich die templerische Legende zu jener Zeit aus Altersschwäche darauf
verlegt, es den alten, leichtsinnig gewordenen Damen gleichzutun, die ihre
erschlafften Züge unter dicken Puderschichten verbargen und darauf hofften, daß
eine blonde Perücke, aufwendige Kleidung und schwere Edelsteine doch noch
schmachtende Liebhaber anziehen könnten. Was uns heutzutage als unfaßbar
erscheint, ist die Tatsache, daß diese Rechnug sogar aufging. Sieht man
allerdings genauer hin, so erkennt man unschwer, daß das neue System einfach
diejenigen Elemente noch ein Stück weit ausgebaut hatte, die zuvor den Erfolg
der symbolischen Maurerei und den der verschiedenen Schottischen Lehrarten
garantiert hatten - das waren vor allem die Befriedigung der Neugier der
einfältigen Bürgerlichen sowie die Verlockungen, die man ihrer Phantasie
offerierte. Ebenso wie ein Bürger im Jahre 1730 geschmeichelt war, wenn er in
der Loge mit »Edelmann und Ritter« angesprochen wurde und er ein Schwert tragen
durfte, so waren auch die von Clavel erwähnten 14 rechtschaffenen Einwohner von
Troyes, Pigeotte, Gaillot, Vernollet, Bertrand, Baudot, Grean, Bellegrand etc.
mit Sicherheit stolz und glücklich darüber, daß sie am 24. Oktober 1808 als
Mitglieder der 3. Klasse des Templerordens Adelstitel und »redende Wappen«
erhielten. Speziell für diese Klientel hatte sich das System mit einer solchen
Vielzahl von Würden und Titeln ausgestattet, daß es diese bedenkenlos vergeben
konnte. Von den etwa 205 Mitgliedern, über die die 3. Klasse im Jahre 1810
verfüge, waren 108 von den Großprioraten »in partibus profanorum« mit Ämtern
versehen, und auch alle anderen trugen irgendwelche Ehrentitel.
Dennoch wäre es ein Fehler, Ledru, Fabre-Palaprat und
Konsorten als berechnende Mystifizierer oder als profitgierige Betrüger zu
betrachten, denen es einzig und allein darauf angekommen wäre, sich und den
anderen Großwürdenträgern, den Magistratsvikaren, Großpräzeptoren, Großprioren,
Regenten, Komturen, Abtissinnen und Kommandanten, mit Hilfe der Beiträge und
Abgaben der Brüder gute Einkünfte zu verschaffen. Im Verlauf der
Streitgespräche, die durch die noch zu behandelnden Spaltungen des Ordens
hervorgerufen wurden, tauchte niemals der Vorwurf der Geldgier unter den
Beschuldigungen auf, die sich die oft leidenschaftlichen Gegner an den Kopf
warfen. Das Verhalten der Oberen des Ordens kann man nur dann wirklich
verstehen, wenn man das Phänomen der Autosuggestion in Betracht zieht, denn
allein durch diese erlagen sie dem Bann der Komödie, die sie selbst in Szene
gesetzt hatten.
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