Geschichtliche Entwicklung des Ariermythos

Die Grundlage für die Entstehung des Ariermythos beginnt eigentlich mit den Humanisten der italienischen Renaissance, die Gelehrte der studia himanitas waren, bestehend aus Grammatik, Rhetorik, Dichtung, Moralphilosophie und Geschichte.

Aus diesem Modell entwickelte sich der Historizismus, was bedeutet, dass sich jede Zivilisation so entwickle, dass man im Nachhinein durch das Studium vorhandener Dokumente den Ablauf ihrer Geschichte rekonstruieren könne.

Erste schriftliche Arbeiten über ein nordisches Heimatland der Menschheit erfolgten durch Jean –Sylvain Bailly (1736-93).

1797 veröffentlichte Charles Valencey die alte Geschichte Irlands, "bewiesen durch die Sanskrit-Bücher der Brahmanen".

In Britannien und Frankreich wurden im 19. Jahrhundert Debatten über Eigentümlichkeiten eines Volkes basierend auf rassischen Mythen geführt.

Ernest Renan schrieb eine Arbeit über die keltische Literatur, die stark an Hegels Beschreibung der indischen Zivilisation erinnert.

Eine Schlüsselrolle im Erfolgszug des Nationalismus im 19. Jahrhundert spielte die Hinwendung auf Uranfänge in Ideologien, die nicht zeitlich, sondern durch eine gemeinsame Ethik definiert wurden, dass heißt durch eine "ethnologische" Zugehörigkeit.

H. T. Colebrooke und William Jones zeichneten ein gespaltenes Bild Indiens. Auf der einen Seite die Rindfleisch essenden Aryas der Veden und auf der anderen Seite die modernen Hindus, die zu Götzendienst, Polytheismus und Sinnlichkeit degeneriert waren.

Die beiden erschufen den Mythos des Goldenen Zeitalters und eine "sanskritozentrische" Version der indischen Kultur, in der die Veden verherrlicht, die gegenwärtige Kultur aber verunglimpft wurde.

Im Europa des frühen 19. Jahrhunderts war die Idee von Indien als der Wiege der Menschheit weit verbreitet. Wir finden sie bei Schriftstellen wie Voltaire, Herder, Kant und Fr. Schlegel.

Auch die Vorstellung, dass der Hinduismus die ursprüngliche Philosophie der Menschen sei oder Ihnen Erlösung bringe, ist unter ihnen weit verbreitet.

Einige dieser Ideen wurden in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts von P. Deussen bei Vorlesungen in Bombay übermittelt. Er stand auch im Austausch mit Swami Vivekananda, der versuchte durch eine Neuinterpretation der Veden, Indien zu seinem alten Glanz zu führen.

1892 und 1903 veröffentlichte Balwantrao Gangadhar Tilak zwei Arbeiten, in denen er zur Theosophie und dem Werk von Max Müller, die Arbeiten von Rhys und Taylor über den arischen Ursprung und von Warren über Untersuchungen alter Sprachen aufnahm.

Er verwendete dabei die Legende vom Goldenen Zeitalter, um die Vormachtstellung und Überlegenheit der indo-arischen Kultur zu erklären.

Heute ist Tilak der am meisten zitierte Autor bei jenen Russen, die eine neue Identität suchen.

Auch viele Pseudo-Indologen berufen sich auf seine Werke. In aktuellen Zeitschriften erscheinen Auszüge aus seinen Arbeiten, die belegen sollen, dass die Proto-Arier eigentlich Russen waren, die den Kulturen der Ägypter und Sumerer vorausgegangen waren. (Der Grund für Hitler, Russland anzugreifen.)

Auf ähnliche Weise wechselte die Ansicht, die Maorikultur stamme von israelitischen Völkern ab, zur Meinung, sie wäre arischer Abstammung.

Nachdem die Traditionen der Maori schriftlich dokumentiert vorlagen, erlaubten sie Taylor eine vergleichende Analyse, die sie als gemeinsames arisches Erbe auswies. Diese Analyse in Mitten der Neuseeland-Kriege (Der Aufstand der Maori 1861-1871)

waren nicht nur ein Versuch, den Kräften, die die Kolonie bedrohten, entgegen zu wirken, sondern sie führten auch zu einer Neuorientierung in Richtung Indien.

Weder der Glaube an eine Abstammung von einem israelitischen Volk, aus der Zeit der ersten Kontakte der Maori mit Europäern, noch die Sichtweise Taylors entsprach wirklich der Denkweise der Maoris.

Der Glaube an ein auserwähltes Volk, das seine Unterdrücker besiegen konnte wie die Israeliten, gewann aber in der Zeit der Kolonialherrschaft mit der Ausbreitung des Christentums an Attraktion. So forderte nun die Ansicht, sowohl Unterdrücker wie auch Unterdrückte wären gleicher Arischer Abstammung, eine Theorie heraus, die die Maori mit den Israeliten identifiziert.

Das zeigt die Grenze, an welche die Kolonialisierung des Bewusstseins stieß.

Aber die Vorstellung, dass hinter diesem Phänomen nur die Idee der Vormachtstellung der Kolonialherren stünde, wäre zu einseitig. Inder wie Briten standen in einem regen Austausch, sodass die Diskussion über das Ariertum ein entscheidendes Element der Kultur des Empires wurde.

Sie schien ein umfassendes Rahmenwerk für die Erklärung der Vergangenheit und Gegenwart des Empires darzustellen.

Die Idee der gemeinsamen arischen Abstammung, erlaubte Kolonialisten auch die Vorstellung von einer harmonischen Kolonialgesellschaft, in der alle gleich sind, gekennzeichnet durch rassische Brüderlichkeit.

Im südasiatischen Raum der Gegenwart ist die Geschichte der Arier noch immer präsent.

In den letzten 20 Jahren unternahm der rechte Flügel der Hindus zahlreiche Attacken gegen den britischen Orientalismus und die arische Invasionstheorie. Sie waren bemüht die Arier und den Hinduismus als Produkt der Nationalen Seele zu sehen, indem sie einheimische Visionen von der Vergangenheit konstruierten. Damit leugnen sie nicht nur den regen Austausch in der Vergangenheit, sondern auch die Geschichte.

So heißt es in einer Ausgabe von "Hinduism Today" im Dezember 1995:

"Geschichte ist ein Schwindel" und weiter: "Die gute Nachricht ist, dass Indien und der Hinduismus jenseits der Geschichte existieren………. Andere Schicksale, ausgenommen einiger Stämme und heidnischer Wege, wurzeln in Ereignissen. Sie begannen an so und so einem Tag, entstanden mit der Geburt eines Propheten oder mit der Weissagung eines Gründers. Deshalb werden sie durch die Geschichte definiert und umschrieben. Nicht so der Hinduismus. Er hat keinen Begründer, keinen Geburtstag zu feiern. Wie die Wahrheit ist er ewig und ungeschichtlich".

Im heutigen Indien findet die Idee Arier seien die Ureinwohner Indiens breite Zustimmung. Die Vorstellung der arischen Einwanderer wird durch einen Nationalismus ersetzt, um Indien vor asiatischen Migranten zu schützen.

Die Aktualität des Themas zeigt sich auch in den gewalttätigen Auseinandersetzungen, die ausgelöst durch einen Überfall auf einen Zug mit Hindu-Aktivisten im Februar 2002, in der Folge 2000 Menschen, vorwiegend Muslimen, das Leben kostete. Amnesty International beschuldigt die Politiker und Beamten, die Angreifer unterstützt und nicht interveniert zu haben.

Der indische Mythos von der Arierschaft wurde verwendet um in der Bevölkerung mächtige Gefühle der Verwandtschaft und Solidarität zu erzeugen. Auf Grund dieser Mythe waren privilegierte Teile befähigt, ein arisches "Wir" zu formen, das den Eroberern gleichgestellt, wenn nicht überlegen war.

Zugleich mit den Höhenflügen europäische Forscher und Philosophen, die nicht zuletzt durch das literarische Vorbild des "Noblen Wilden" die arisch -indische Vergangenheit romantisierte und dem Versuch Blavatskys, aus verschiedensten vedischen Originaltexten, ein eigenes Konstrukt, genannt das Buch Dzyan, zu erstellen, schuf Indien seinen ureingesessenen Ursprungsmythos in der arischen Vergangenheit.  
 

Damit kam die Indische Reformbewegung in den arischen Mythos.

Der Mythos vom vedischen goldenen Zeitalter wurde zuerst von Brahmo Sama J. Rammohan erstellt.

Seine Neuinterpretation der indischen sozialreligiösen Traditionen ergab, dass der Hinduismus vom wahren Modell der alten vedischen Periode abgeirrt sei. Er verdammte die spätere Hinduperiode, die er als Götzenanbetung bezeichnete, für die Zerstörung der gesellschaftlichen Struktur, was ihn in Konflikte mit den christlichen Missionaren einerseits und den Hinduisten andererseits brachte.

Der Glaube an die Degeneration Indiens fand aber Unterstützung durch Dayanand Saraswaty, dessen Heilmittel für die Nation in der Wiederentdeckung vergangener Visionen und vergangenen Ruhms bestand. Er begründete 1875 die Arya Samaj, eine Vereinigung, in der die Veden neu interpretiert wurden, d. h. in despotischen Lesungen und Definitionen wurde festgelegt, was vedisch sei.

Dieses Faktum einer "vedischen Mythe von den Ariern" wurde von Reformern benutzt, um die öffentliche Meinung zu mobilisieren, um die westliche Propaganda der Missionare zu zerstreuen und den Kampf gegen die Modernität und soziale Ungerechtigkeit zu führen.

Die alte Geschichte der Arier wurde benutzt um die Rolle und Position einer brahmanischen Elite zu definieren und um das Kastenwesen zu rechtfertigen.

Tilaks Theorie hatte bedeutende Auswirkungen: die vedischen Texte mussten nicht mehr neu entziffert werden. Sie beschrieben, was in der ursprünglichen arischen Welt vor ihrer Auswanderung tatsächlich existierte. Die Arier waren eine höchst entwickelte Zivilisation und beinahe übermenschlich.

In den Westen gelangten diese Schriften durch den erwähnten Swami Vivekananda, der eine Utopie in der arischen Vergangenheit erschuf. Er fand in den Veden ein Indien, das sich durch das Kastenwesen, strenge religiöse Eide, Fasten und Zurückgezogenheit vereinte. Dieser fiktiven idealen Vergangenheit stellte er eine fiktive moderne Bedrohung durch Materialismus und westlichen Luxus gegenüber. Indien werde aber den rohen Menschen zum Menschen Gottes machen.

Hinter den Worten des heiligen Mannes liegt allerdings auch der Wille zur Erhaltung der alten Strukturen, und damit der Macht, verborgen.

Besonders eindrucksvoll wird diese Inszenierung der Vergangenheit durch die wörtliche Auslegung und durch ihren Modernismus. Geschichte wird als unvermeidlich begrenzt und auf wenige Brennpunkte beschränkt dargestellt. Die Fakten werden entsprechend der Ideologie der Zeit interpretiert und die Erinnerung wird erst durch das konventionelle Wissen der Gelehrten wirksam.

 

For updates click homepage here

 

 

 

 

shopify analytics